Gender-Ideologie: "Nein, die gibt es nicht"
Frage: Frau Heyder, der Katholische Deutsche Frauenbund will mit seiner Gender-Broschüre zur Versachlichung der gesellschaftlichen und kirchlichen Debatte beitragen. Weshalb ist das überhaupt nötig?
Heyder: Weil der "Gender"-Begriff sehr emotional diskutiert und verwendet wird. Aber auch, weil viele Menschen mit diesem Begriff nichts anfangen können und in dieser Situation gezielt Ängste geschürt werden. Wer mit Angst diskutiert, diskutiert letztlich nicht nüchtern und sachlich.
Frage: Können Sie den Begriff "Gender" dann einmal erklären?
Heyder: Der Begriff "Gender" kommt aus dem Englischen und beschreibt die sozialen Geschlechterrollen von Männern und Frauen in der Gesellschaft. Diese Rollen erlernen wir im Laufe unseres Lebens, sie sind durch unsere Kultur geprägt oder beispielsweise durch unsere Berufswahl. Davon zu unterscheiden ist das biologische Geschlecht, das wir Menschen haben und das im Englischen "Sex" heißt. In der Regel ist das biologische Geschlecht männlich oder weiblich. Es gibt aber auch intersexuelle Menschen, bei denen das biologische Geschlecht nicht eindeutig ist. Das wird seit November 2013 im deutschen Personenstandsgesetz berücksichtigt.
Frage: Wovon hängt das soziale Geschlecht denn ab? Ist es eine Frage der Erziehung?
Heyder: Es wird zumindest immer durch Erziehung mitgeprägt und davon werden wir auch nie loskommen. Wir müssen uns aber die Frage stellen, wie wir uns zu den traditionellen Rollenbildern verhalten, die uns die jeweilige Gesellschaft vorgibt, vor allem dann, wenn Frauen oder Männer durch vorgegebene Geschlechterrollen diskriminiert werden. Und genau darum geht es beim Thema "Gender".
Frage: Aber besteht nicht die Gefahr, dass wir die natürlichen Unterschiede aufheben, wenn wir Jungen nicht mehr mit Autos und Mädchen mit Puppen spielen lassen?
Heyder: Grundsätzlich sind Kinder relativ autonom in dieser Hinsicht und suchen sich das, was zu ihnen passt. Da können Eltern ganz gelassen zuschauen. Andererseits orientieren sich Kinder an Vorbildern. Wenn wir nun mit den Autos und Puppen die Vorstellung transportieren, dass Jungen immer cool und technikorientiert sein müssen, Mädchen dagegen immer fürsorglich und häuslich, dann schränken wir Jungen und Mädchen gleichermaßen in ihrer Entfaltung ein. Selbst wenn Mädchen im Normalfall überwiegend mit Puppen und Jungen mit Autos spielen, trifft das längst nicht auf alle zu. Und jeder Junge und jedes Mädchen sollte sich frei entscheiden dürfen, womit er oder sie spielt.
Ich beobachte außerdem, dass Geschlechterrollen heute – gerade mit Blick auf Kinder – ein Geschäftsmodell sind. Es gibt nicht mehr wie früher den einen Lederranzen für Mädchen und Jungen. Auch der klassische, in der Familie gut vererbbare rote Kinderroller ist auf dem Rückzug. Heute ist das Mädchen-Modell pink und das für Jungen "cool". Deshalb sehe ich die eigentliche Gefahr darin, dass Kinder über den Konsum in Geschlechter-Stereotypen gedrängt werden.
Frage: Kritiker sprechen beim "Gender Mainstreaming" dennoch von einer politischen Strategie, die zu einer Nivellierung der biologischen Geschlechter führen soll. Was ist dran an dieser Behauptung?
Heyder: Die Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Das sogenannte "Gender Mainstreaming" zielt einerseits auf Chancengleichheit und Gerechtigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen, setzt andererseits aber gerade Unterschiede zwischen den Geschlechtern voraus. Einige Kritiker meinen deshalb, dass "Gender Mainstreaming" in modernen Gesellschaften kontraproduktiv ist, weil es Unterschiede zwischen den Geschlechtern verfestigt.
Frage: Es gibt also keine "Gender-Ideologie"?
Heyder: Nein, die gibt es nicht, denn mit "Gender" kann man Geschlechterverhältnisse beschreiben, aber nicht normieren. Bei denjenigen, die von einer "Gender-Ideologie" sprechen, steht "Gender" für die freie Wählbarkeit des Geschlechts. Und diese These vertritt eigentlich niemand, der sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt.
Download: Die Gender-Broschüre des KDFB
Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) hat am Dienstag die Broschüre "Gender, Gender Mainstreaming und Frauenverbandsarbeit" veröffentlicht und möchte damit einen "Beitrag zur Versachlichung derzeitiger Diskussionen" leisten.Frage: Warum wird der Begriff "Gender" dann in der Kirche so kontrovers diskutiert?
Heyder: Ich glaube, dass das einerseits einer gewissen Uninformiertheit zu verdanken ist. Andererseits wird der Begriff "Gender" in manchen kirchlichen Kreisen in eine sehr enge Beziehung zu sexueller Identität gebracht. Das ist in den Wissenschaften aber überhaupt nicht der Fall: in den "Gender Studies" ist sexuelle Identität eher ein Randthema. Weil aber in der Kirche vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen über das Verhältnis von Mann und Frau und über das Verständnis von Ehe und Familie diskutiert wird, haben sich viele auf den "Gender"-Begriff gestürzt, um mit ihm Politik zu machen. Genderwissenschaften sind aber in keiner Weise eine Gefahr für das christliche Bild von Ehe und Familie.
Frage: Die brasilianische Theologin Ivone Gebara sagt sogar, dass die Gender-Kategorie dabei hilft, "bestimmte Vereinfachungstendenzen in der theologischen Wissenschaft zu überwinden". Wie tut sie das?
Heyder: In der Theologie geht es auch um gerechte Lebensbedingungen für Menschen: für Männer, Frauen und Benachteiligte. "Gender" als analytische Kategorie hilft dabei, Ungerechtigkeiten aufzudecken, die sich in verschiedenen Kulturen je unterschiedlich darstellen. Wer genderbewusst argumentiert, kann ungerechte Verhältnisse nicht mit den vorgeblich natürlichen Rollen von Mann und Frau begründen. Das wäre zu einfach.
Frage: Was erhoffen Sie sich für die Debatte innerhalb und außerhalb der Kirche?
Heyder: Wir erhoffen uns für die innerkirchliche Debatte zum einen eine Versachlichung, zum anderen wollen wir damit einen Beitrag zur Bischofssynode im Herbst leisten, wo Themen wie abwesende Väter, Gewalt gegen Frauen oder Genitalverstümmelungen auf der Agenda stehen. Diese Probleme hängen aufs Engste mit Geschlechterrollen zusammen. Grundsätzlich sehen wir uns als katholischer Frauenverband dazu verpflichtet, zu einer gerechten und lebenswerten Welt für alle beizutragen. Und in dieser Welt finden wir Geschlechterrollen vor. Wenn unser gesellschaftspolitisches und kirchliches Handeln genderbewusst ist, dann führt dies am Ende zu mehr Gerechtigkeit und Partnerschaftlichkeit für alle.