Nein, sie pinkeln nicht
Ein Foto und der Skandal ist perfekt: In München glaubte ein aufmerksamer Beobachter, sechs "Neubürger" dabei erwischt zu haben, wie sie gemeinsam an die Wand einer katholischen Kirche pinkeln. Garniert mit dem empörten Kommentar "TEILEN, damit auch der letzte Gutmensch diese Sauerei mitbekommt" wird das vermeintliche Beweisfoto auf Facebook gepostet.
Richtigstellung durch Kirchengemeinde
Doch die Aktion endet eher peinlich: In einer Stellungnahme stellt die zuständige Gemeinde St. Gertrud in München klar: die Männer urinieren nicht, sie beten. Bei den Gläubigen handele es sich um Gäste aus der Münchener eritreisch-orthodoxen Gemeinde. Zu deren Traditionen gehöre es, nicht immer in die Kirche hinein zu gehen, sondern auch draußen vor der Kirche zu beten. "Sie lehnen sich an die Wand des Gotteshauses und beten", heißt es wörtlich in dem Statement.
Doch das Foto hatte schon vor der Stellungnahme für Furore auf Facebook gesorgt und wurde vielfach geteilt – unter anderem von NPD-Vertretern und Initiativen gegen verschiedene Asylheime. Es zeigt über eine Straße hinweg eine Kirchenmauer. Sehr eng davor stehen mit dem Rücken zum Betrachter sechs Gestalten, die meisten lehnen den Kopf an die Wand, einige haben ihre Hände ungefähr auf Höhe der Hüfte positioniert. "Stellt Euch vor was die mit uns machen würden, wenn wir selbiges an einer Moschee tun?", schreiben manche User daneben.
Doch die Gefühlswallung ist umsonst: St. Gertrud und die eritreisch-orthodoxe Gemeinde München pflegten seit Jahren einen ökumenischen Austausch, heißt es auf der Homepage der Kirchengemeinde. Die orthodoxen Christen feierten seit 2009 ihre Gottesdienste in dem Räumen von St. Gertrud. Gemäß ihrer Glaubenstradition kommt es also wohl häufiger zu ähnlichen Szenen wie auf dem Foto. Es sei aber "nicht das, was so mancher ‚besorgter Bürger‘ hier vermutet", stellt die Gemeinde klar.
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Inzwischen verbreitet sich auch die Richtigstellung über Facebook und Twitter. Ein User empfindet sie als "wichtige Gegendarstellung", ein anderer warnt, gerade bei Fotos "besonders vorsichtig und kritisch sein, bevor man diese verbreitet". Wieder andere machen sich über diejenigen lustig, die den Ursprungspost teilten.
"Nie würde sich jemand trauen, dort zu urinieren"
Die Münchener Kirchennachrichten zitieren zudem eine Vertreterin der eritreisch-orthodoxen Gemeinde, die beteuert: "Es ist ganz normal bei uns, sich an die Wand zu lehnen und zu beten. Nie, nie, nie würde sich jemand trauen, dort zu urinieren". Die Gemeinde St. Gertrud sei für die eritreisch-orthodoxen Gemeinde zu einer zweiten Heimat geworden. Auch unbegeleitete minderjährige Flüchtlinge hätten hier eine Anlaufstelle gefunden. (gho)