Deutschlandweit Aktionen gegen religiöse Gewalt

Nicht im Namen der Religion

Veröffentlicht am 09.03.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Schwarz vermummte Männer halten Waffen an die Köpfe von mit dem Kreuz gezeichneten Männern.
Bild: © KNA
Gesellschaft

Bonn ‐ Obwohl alle Weltreligionen von ihren Mitgliedern Barmherzigkeit fordern, ist Gewalt im Namen der Religion das Thema, das Nachrichten seit Monaten und Jahren beherrscht. Juden werden in Deutschland bedroht, im Nahen Osten Christen und andere vermeintlich Ungläubige von IS-Terroristen hingerichtet . Am Wochenende stellten sich bei verschiedenen Veranstaltungen Menschen gegen religiöse Gewalt.

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Auf Demonstrationen, bei Preisverleihungen für friedensförderndes Engagement und in Gottesdiensten erhoben tausende Menschen ihre Stimmen, darunter auch Bischöfe. Das drastischste Bild lieferte dabei die Demonstration gegen die Verfolgung und Vernichtung christlichen Lebens in Syrien und Irak, an der am Samstag in Mainz rund 1.500 Menschen teilnahmen: Für Aufsehen sorgte die nachgespielte Hinrichtung von Christen in orangen Overalls durch schwarz gekleidete und vermummte Kämpfer der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS).

Seit Jahren erlitten die christlichen Assyrer, Aramäer und Chaldäer im Mittleren Osten schlimmste Verfolgungen und stünden kurz vor ihrer Auslöschung, hieß in einem Aufruf der Organisatoren. Darüber hinaus vergreife sich der IS an antiken Kunstwerken in Syrien und im Irak und zerstöre sie. Zu der Demonstration aufgerufen hatten neben dem Zentralverband der Assyrer auch die Zentralräte der Jesiden und der Orientalischen Christen in Deutschland, die Assyrische Kirche des Ostens und die Assyrisch Demokratische Partei.

Bischof Franz-Josef Overbeck hält eine Katechese beim Eucharistischen Kongress in Köln.
Bild: ©KNA

Bischof Franz-Josef Overbeck.

Overbeck: Frieden nur bei Verzicht auf Gewalt

Bei einem ökumenischen Gottesdienst in Essen verurteilte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck Gewalt im Namen der Religion scharf. "Gewalt ist selbst dann illegitim, wenn eine Religion auf das Widerlichste geschmäht und mit Kübeln von Schmutz und Verachtung überschüttet wird", sagte er am Sonntagabend. "Die islamistischen Terroristen, die in diesen Tagen unter anderen auch Christen umbringen, löschen mit dem Leben ihrer Opfer auch Sicherheit und Freiheit aus und bedrohen die Rechtsordnung als Ganzes."

Freiheit und Frieden sind nach den Worten Overbecks immer nur um den Preis des Verzichts auf körperliche Gewalt zu haben. So sei die Religionsfreiheit einer der wichtigsten Gradmesser dafür, ob es einem Staat und einer Gesellschaft ernsthaft um Gleichheit und Rechte aller gehe. Overbeck äußerte sich bei einer Vesper aus Anlass des 50-Jahr-Jubiläums der "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche".

Woelki: Bedrohung von Juden nicht zulassen

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki forderte am Sonntag in seinem Bistumssender Domradio einen entschiedeneren Einsatz gegen die Bedrohung von Juden . Niemand dürfe sich damit abfinden, dass Synagogen, jüdische Gemeindehäuser und Friedhöfe rund um die Uhr von der Polizei beschützt werden müssten, weil sie sonst beschmiert oder geschändet würden. Die Juden seien die älteren Geschwister der Christen, hob er hervor. Es spiele keine Rolle, aus welcher Richtung die Angriffe kämen. "Wir werden jetzt und zukünftig füreinander da sein - das sind wir unseren jüdischen Schwestern und Brüder nicht einfach nur schuldig", versicherte Woelki. "Das ist unsere christliche Pflicht."

Der Erzbischof appellierte an die Menschen, nach dem Vorbild der Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus deutliche Zeichen zu setzen und "wenigstens hin und wieder einmal die nächstgelegene Synagoge oder den heimischen jüdischen Friedhof" zu besuchen. "Wer von uns hat schon mal jüdische Bekannte oder Freunde zum Kaffee oder Gespräch eingeladen?", fragte der Kardinal.

"Woche der Brüderlichkeit" startet mit Aufruf

Die "Woche der Brüderlichkeit", die am Sonntag begann, ist nach Woelkis Worten dazu ein guter Anlass. Die jährliche Veranstaltungswoche wird vom Deutschen Koordinierungsrat der bundesweit mehr als 80 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit organisiert. Sie startete mit einer zentralen bundesweiten Eröffnung in Ludwigshafen. Dabei nannte es der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, "bedrückend und beschämend", dass Juden heute darüber nachdächten, an bestimmten Orten besser keine Kippa zu tragen.

Niemand dürfe sich "an die tägliche Realität der Bedrohung der Sicherheit von Juden in diesem Land gewöhnen", so der bayerische Landesbischof. Auch der christlich-jüdische Dialog sei noch lange nicht am Ziel. Im Rahmen der Eröffnung wurde in Ludwigshafen außerdem die Buber-Rosenzweig-Medaille des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit verliehen. Preisträger sind der katholische Theologe Hanspeter Heinz und der von ihm geleitete Gesprächskreis "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).

In Berlin mahnte Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman zum gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus. Wenn Juden wieder Angst hätten, sich mit einer Kippa auf der Straße zu zeigen, oder wenn sie angegriffen würden, weil sie Israel unterstützen, müssten auch Christen laut und eindeutig ihre Stimme erheben. Der Diözesanadministrator des Erzbistums Berlin, Tobias Przytarski, reagierte darauf: Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) verpflichte auch Katholiken zur Bekämpfung des Antisemitismus. (mit Material von KNA)

Von Agathe Lukassek