"Nur" ein Stück Papier
"Richtig. Wichtig. Lebenswichtig." So lautet in diesem Jahr das Motto des Tags der Organspende. Bei der zentralen Veranstaltung in Hannover werben nicht nur Prominente Musiker wie Heinz Rudolf Kunze, die Band Marquess und Mary Roos mit ihren Auftritten für die Organspende. Es stehen auch Experten, Transplantierte und Angehörige zu Gesprächen bereit. Und die wollen Werbung machen. Denn die Zahl der potentiellen Spender bleibt in Deutschland auf einem niedrigen Niveau. Das wird nicht zuletzt auf den Organspende-Skandal zurückgeführt, bei dem in den vergangenen Jahren Manipulationen bei der Vergabe von Spenderorganen öffentlich wurden. Kliniken in mehreren großen Städten wie München, Göttingen, Regensburg und Leipzig waren involviert.
In Deutschland warten derzeit rund 10.700 Menschen auf ein Spenderorgan. Auch deswegen bezeichnet der Augsburger Weihbischof Anton Losinger den seit 30 Jahren begangenen Tag der Organspende als "sehr sinnvoll" und als "wichtigen Beitrag zur Rettung des Lebens von Menschen". Man müsse ganz nüchtern feststellen, dass es in Deutschland im Vergleich zu dem lebensnotwendigen Bedarf an Organen viel zu wenig Spender gebe, so Losinger zu katholisch.de. "Die Menschen sind aufgrund der zurückliegenden Skandale verschreckt."
Deswegen plädiert Losinger, der für auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, an die DSO und die Bundesärztekammer, weiter konsequent gegen "jede Form von kriminellen Eingreifens" und Missbrauch bei der Vergabe von Organen zu kämpfen und die Einhaltung des komplizierten Verfahrens zur Feststellung des Hirntods streng zu überwachen: "Schludern wäre hier eine Katastrophe." Zudem dürfe Organhandel keine Chance haben. Die einzigen Kriterien bei der Organspende dürften Dinglichkeit und Passgenauigkeit des Empfängers sein, fordert Losinger.
Evangelische Bischöfe fordern einen "anderen Organspende-Ausweis"
Dass es in der Bevölkerung noch Unsicherheit und Diskussionsbedarf über die aktuelle Vergabepraxis gibt, zeigt eine Initiative, die heute auf dem Evangelischen Kirchentag vorgestellt wird. Dort fordern die evangelischen Bischöfe Martin Hein und Ilse Junkermann zusammen mit den "Evangelischen Frauen in Deutschland" einen sogenannten "anderen Organspende-Ausweis". Ihre zentrale Kritik: Es müsse genauer über den Unterschied zwischen Hirntod und Tod aufgeklärt werden. Außerdem fordern die Initiatoren die Möglichkeit, dass die Organentnahme bei hirntoten Menschen unter einer Vollnarkose geschehe, um auszuschließen, dass sie noch Schmerzen empfinden.
Diese Argumente kennt Anton Losinger – nachvollziehen kann er sie nicht. Nach seiner Ansicht gibt es aus wissenschaftlicher Perspektive kein sicherere Diagnose als den Hirntod, der feststellt, dass alle wichtigen Funktionen des Gehirns irreversibel, also unwiederbringlich, erloschen sind. Denn anders als wenn Herz und Atmung still stehen, ist dann eine spätere Wiederbelebung – und damit eine Fehldiagnose - ausgeschlossen. Damit folgt Losinger der Position der beiden großen Kirchen in Deutschland, die schon 1990 in einer gemeinsamen Erklärung feststellten, dass dem Menschen mit dem Hirntod „die unersetzbare und nicht wieder zu erlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt" fehle.
Für den Weihbischof ist daher auch die Möglichkeit, dass hirntote Menschen bei einer Entnahme von Organen noch Schmerz empfinden, ausgeschlossen – denn die Diagnose des Hirntods schließe ein, dass die Nervenleitungen keine Signale mehr ins Gehirn transportieren. Gegner des Hirntod-Konzepts wie der amerikanische Neurologe Alan Shewmon, gehen dagegen davon, dass das menschliche Empfindungsvermögen mit dem Hirntod noch nicht erloschen ist. Auch untergeordnete Strukturen seien zu Wahrnehmungen von Schmerz- und Berührungsreizen fähig. Hirntote Menschen könnten etwa verdauen und ausscheiden, sogar die Geschlechtsreife erlangen.
Die Kritiker gehen zudem auf den Aspekt der Sterbebegleitung ein: Oft hätten Angehörige das Gefühl, den Sterbenden allein zu lassen, wenn sie zur Organentnahme in den OP geschoben würden. Auch dieses Argument weist Losinger zurück: "Mir wäre es lieber, wenn ich im Todesfall durch eine Transplantation Leben retten könnte, als dass die Angehörigen ein gemütliches Abschiednehmen haben", spitzt er zu. Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass Organspender sich möglicherweise nicht ausreichend darüber bewusst seien, dass sie nicht nur ihre Organe, sondern auch ihr Gewebe wie Haut oder die Netzhaut des Auges zur Verfügung stellten. Darin sieht Losinger "kein generelles Problem". Schließlich könne jeder im Ausweis genau festlegen, welche Teile seines Körpers er zur Verfügung stelle.