O Heiland reiß die Himmel auf
Die Dunkelheiten der Welt, das Hoffen auf die kommende Erlösung und die Undurchdringbarkeit dieses Geschehens: "O Heiland, reiß die Himmel auf" fasst das Geheimnis des Weihnachtsfestes in wunderbaren Worten zusammen. Das Lied des Jesuiten Friedrich Spee aus dem Jahr 1622 ist für mich eines der schönsten Adventslieder.
Das Lied greift den Eröffnungsvers der Liturgie vom vierten Adventssonntag auf: "Rorate, caeli, desuper, et nubes pluant justum. (Jes 45,8)" ("Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen!"). Diese Verbindung zum uralten Schatz der lateinischen Liturgie macht das Lied für mich zu etwas ganz Besonderem. Es ersetzt den lateinischen Introitus nicht, sondern deutet ihn in Bildern aus.
In den ersten drei Strophen stehen drei Aufforderungen, die jedoch unerhört bleiben. In den Strophen vier bis sechs wandeln sie sich zu flehenden Bitten. Eine Veränderung, die jeder Beter bereits erlebt hat.
Die ersten beiden Strophen handeln vom Regen, der auf die Erde fällt, um diese zu befruchten. Für mich eines der außergewöhnlichsten, aber zugleich auch schönsten Weihnachtsmotive. "O Heiland, reiß die Himmel auf!" – ein Wunsch, den ich angesichts der oft so drückenden Wolkendecke rund um den kürzesten Tag des Jahres nur zu gut nachvollziehen kann. Vielleicht hat das romantische Bild der weißen Weihnacht auf uns gerade deshalb eine so große Anziehungskraft?
"O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring", heißt es dann am Ende der dritten Strophe. Der Regen aus den Wolken, die himmlische Kraft Gottes, soll der Erde den Retter entlocken – der in ihr bereits verborgen ist. Ein Zeichen der Hoffnung!
Von Hoffnung ist auch der zweite Teil des Liedes geprägt. "Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?" Der Ruf geht aus dem Dunkel der Welt zum Retter und Erlöser im Himmel. Aber das Lied beschreibt keinen simplen Gegensatz "Himmel gut – Erde böse". Der Heiland selbst liegt ja schon verborgen in der Erde. Das Lied versichert uns, dass alle Hoffnung begründet ist. In diesen letzten Tagen des Advents gilt es nur noch darauf zu warten, dass die Himmel endlich aufreißen.
Von Kilian Martin