"Reibung erzeugt Wärme"
Im September haben die deutschen Bischöfe den Passauer Bischof Stefan Oster zum Vorsitzenden der Jugendkommission gewählt. Im Interview spricht er über seine Ziele, die bevorstehende Bischofsynode zum Thema Jugend und erklärt, was die Kirche im Umgang mit dem Nachwuchs dringend ändern muss.
Frage: Bischof Oster, Sie haben sich als Salesianer Don Boscos für Jugendliche eingesetzt, viel Kontakt mit Ihnen gehabt. Wie glaubt die Jugend heute?
Oster: Jugendliche antworten mehr denn je auf persönliche Zeugnisse. Institutionalisierte Gläubigkeit spricht sie weniger an. Sie brauchen Erfahrungen, müssen etwas erleben und sie brauchen authentische Personen, die sie anregen: Was den oder die bewegt, danach suche ich vielleicht auch.
Frage: Was wollen Sie in Ihrer Amtszeit als Jugendbischof erreichen?
Oster: Ich habe in dem Sinne keine strategischen Ziele. Ich bin ja erst in diesem Herbst gewählt worden und gerade noch dabei, mir das Amt zu erschließen. Vor allem aber möchte ich nicht ohne das Gespräch mit den Jugendlichen irgendwelche Pflöcke einschlagen. Was ich aber schon will, ist mit ihnen eine authentische Antwort suchen und finden auf die Frage: Was sind die Inhalte unseres Bekenntnisses und wie wirkt es sich auf unser persönliches Leben aus? Ich glaube, die Vermittlung von Inhalten des Glaubens ist heute eine Kernfrage. Und es ist zugleich eine riesige Herausforderung, diese Inhalte so attraktiv zu präsentieren, dass junge Menschen sich das freiwillig antun. Die Leitfrage sollte sein: Wie finden junge Menschen in einer pluralen, schnelllebigen Gesellschaft, in einer Konsum- und Mediengesellschaft in nachhaltige Begegnung mit dem Glauben? Wie gelingt uns eine Art "Willkommenskultur" für sie? Die Zeiten, in denen wir für die jungen Leute organisierte Katechese zum Pflichtprogramm machen konnten, sind eher vorbei.
Frage: Ein anderer "Player" in der katholischen Kirche in Bezug auf die Jugend ist der BDKJ. Der hat einen liberalen Ruf, Sie haben eher einen konservativen Ruf. Ist das ein Problem für die Zusammenarbeit und wie soll die aussehen?
Oster: Hier im Bistum versuche ich ein offenes, vom Dialog geprägtes Verhältnis zu den Jugendverbänden zu pflegen. Die Leute wissen, dass sie mit mir reden können und wenn es nötig ist, auch im guten Sinn ringen oder streiten. Ich halte sehr viel davon, dass junge Menschen ihre ganz eigenen Fragen stellen. Der Glaube der Großmutter ist kostbar. Aber wenn das nicht mein eigener Glaube wird, der mir durch Herz und den kritischen Kopf gegangen ist, macht es wenig Sinn, ihn einfach zu übernehmen.
Und dass ich persönlich zu vielen Themen eine profilierte Meinung habe, kommt aus einer tiefen Überzeugung – und nicht aus dem bloßen Zitieren des Katechismus. Nach meiner Erfahrung wird Überzeugung auch respektiert. Insofern sehe ich keine Probleme, sondern freue mich auf die Begegnung mit dem BDKJ. Und sollte es Reibung geben, schreckt mich das nicht. Reibung erzeugt Wärme.
Frage: Das Thema der nächsten Bischofssynode 2018 soll die Jugend sein. Was muss da besprochen werden? Inwiefern werden die Jugendlichen vorher an der Vorbereitung beteiligt?
Oster: Vielleicht wissen die Römer schon, wie das gehen soll (lacht). Ich habe gehört, es soll wieder einen Fragebogen geben, ähnlich wie vor der Familiensynode. Das würde ich begrüßen. Ich hoffe, dass die Jugend auf dem Weg zur Synode mit all ihren Verheißungen, Verletzlichkeiten und Fragen in das Blickfeld der Kirche kommt. Das Thema der Synode "Jugend – Glaube – Berufung" lässt einen existenziellen Bezug durchscheinen: Gott will mit jedem Menschen einen unvertretbaren Weg gehen. Auch das gefällt mir. Andererseits ist die Wirkung einer Synode auch begrenzt: Die Bischöfe der Weltkirche tagen und geben anschließend ein Papier heraus, das gar nicht so viele lesen, wenn man ehrlich ist.
Frage: Laut der Shell-Jugendstudie aus dem vergangenen Jahr haben 75 Prozent der katholischen Jugendlichen gesagt, die Kirche müsse sich ändern und zukunftsfähiger werden. Sie schätzen zwar die soziale Rolle der Kirche, vermissen jedoch Antworten auf wichtige Fragen der Lebensführung. Wie kann man gerade die Fernstehenden wieder besser erreichen?
Oster: Auch hier ist die Antwort: Das geht über das persönliche Glaubenszeugnis des einzelnen. Die Begegnung mit Christus hat lebensverändernde Qualität. Jemand, der dem Herrn begegnet, lebt nachher anders als zuvor. Doch eine solche existenzielle Erfahrung ist bei uns in der Breite eher selten vorhanden. Ich bin der Überzeugung, dass junge Menschen angesprochen werden, wenn sie jemandem begegnen, der überzeugend Christ ist. Das stellt die jungen Menschen in Frage und lässt sie neue Fragen stellen. Moderne Formen der Ansprache wie die Sozialen Medien können da begleitend oder vertiefend sein, aber das entscheidende ist immer das persönliche Zeugnis.
Frage: Viele junge Leute, gerade die berühmten "Fernstehenden" haben gar keinen Kontakt zu Christen. Wie soll da der Funke überspringen?
Oster: Gegenfrage: Warum ist das eigentlich so? Wahrscheinlich, weil wir aus unseren eigenen Räumen nicht weit genug hinausgehen. Weil wir uns in einer Routine befinden und den Selbsterhalt mehr im Auge haben als den missionarischen Auftrag. Papst Franziskus ist ein großer Meister, der uns zeigt, dass jemand, der wirklich Christ ist, ganz weit rausgehen kann – und dann hoffentlich auch kirchenfernen Jugendlichen begegnet.
Linktipp: Die Bischöfe haben gewählt
Die Deutsche Bischofskonferenz hat neue Kommissionsvorsitzende gewählt. Neben der Glaubenskommission wurden auch die Bereiche Jugend und Migration neu besetzt. Die Wahlergebnisse bergen Überraschungen.Frage: Der BDKJ hat zu ihrer Wahl angekündigt, mit Ihnen zusammen die Jugendpastoral weiterentwickeln zu wollen. Was steht da an?
Oster: Ich probiere seit ein paar Jahren selbst neue Formate aus. So habe ich auch als Bischof eine Gruppe für junge Leute begonnen, "Believe and Pray". Das ist ein 14-tägiges Angebot, das geistliche Erfahrung, intellektuelle Auseinandersetzung und Gemeinschaft betont. Es ist ein Versuch, nicht die Lösung schlechthin. Ich bin gespannt, was von der Seite der Jugendverbände für Anregungen kommen.
Frage: Wie sollten sich Kommunion- und Firmkatechese weiterentwickeln?
Oster: In der Firmkatechese bieten wir immer noch ein vorgefertigtes Programm, in das wir versuchen, so viele Jugendliche wie möglich hineinzubekommen. Ich frage mich, ob das heute noch der Weisheit letzter Schluss ist: Vermutlich müssen wir auch hier individuellere Wege suchen, die auch dem Charakter des Sakraments besser entsprechen. Bei der Kommunionkatechese fände ich einen Ansatz wichtig, der die ganze Familie mit einbezieht. Ich fände es spannend, wenn sich eine ganze Familie zur Erstkommunionvorbereitung intensiv fragt, was bedeutet es für uns, wenn unser Kind zum ersten Mal zum Tisch des Herrn tritt? Für unser familiäres Leben, für jeden Einzelnen? Wo so etwas gelingt, wird dem Kind die Bedeutung des Sakraments noch einmal viel klarer – und den anderen auch.