Overbeck prangert Kinder- und Altersarmut an
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat die oft prekäre soziale Situation der Jüngsten und der Ältesten in der Gesellschaft angeprangert. Laut einer Bertelsmannstudie vom September sei die Kinderarmut allein in Nordrhein-Westfalen um 1,6 Prozent gestiegen, sagte er am Montagabend in Mülheim an der Ruhr. "Leider, denn Kinderarmut weist immer auf Familienarmut hin", so der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für soziale Fragen. Ebenso müsse "die auf uns zukommende Altersarmut" dringend debattiert und eine politische Lösung entwickelt werden, unterstrich Overbeck.
Die Kirche als einer der großen Leistungsträger und Ansprechpartner für das Familienleben verstehe sich als Anwältin für Familien- und Gerechtigkeitsfragen, sagte Overbeck. Er äußerte sich beim Neujahrsempfang des Bischofs von Essen in der katholischen Akademie "Die Wolfsburg".
Europa als christlicher Auftrag
Zum "Megathema Europa" warb er für ein "neues Sensorium und Bewusstsein" für die Bedeutung und Zerbrechlichkeit der europäischen Ordnung und der sie tragenden Institutionen. "Lassen Sie uns weiter kraftvoll mitwirken an diesem Friedenswerk der europäischen Einigung", appellierte der Bischof. "Das ist meiner Meinung nach ein christlicher Auftrag." Erforderlich seien wache Christinnen und Christen, die die Zeichen der Zeit erkennen, und Mutige, die die Verantwortungsübernahme auch im Politischen nicht scheuen. "Ich lade Sie herzlich dazu ein. Ich tue als Bischof auch meinen Teil dazu."
Die herrschenden Zeiten seien "dynamisch und herausfordernd", sagte Overbeck mit Blick auf Terror, Migrationsphänomene oder den "Brexit". Nicht wenige Menschen seien tief verunsichert. "Manche fühlen sich zu Protesthaltungen veranlasst, die wir nicht gewohnt sind und oft den Komplexitäten unserer Gesellschaften systematisch ausweichen." In diesem Zusammenhang erwähnte der Bischof die Wahl des Begriffs "postfaktisch" zum "Wort des Jahres" 2016. Overbeck wörtlich: "Sie wissen, Sie haben in mir einen Ruhrbischof, der die Fakten liebt."
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Eine der wichtigsten Rollen der Kirchen sei es, aus dem Glauben das Leben zu deuten und Zuversicht und Orientierung in die Gesellschaft auszustrahlen, so der Bischof. Dabei erhalte die Ökumene im Jahr des Reformationsgedenkens eine neue Aufmerksamkeit. "Als Christen in unserer Welt können wir heute nur gemeinsam stark sein", sagte Overbeck. "Ich wünsche uns viele gute Wege unter diesem gemeinsamem Dach der Ökumene."
Als Gastredner war deshalb auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, zum Essener Neujahrsempfang geladen. Er ermunterte die Christen in seinem Vortrag zu politischem Engagement. Wer die Not von Menschen überwinden wolle, komme an der öffentlichen und politischen Dimension nicht vorbei, sagte der bayerische Landesbischof. "Wer fromm ist, muss auch politisch sein."
Bedford-Strohm: Christen sollen sich in Politik einmischen
Deswegen müsse man sich Gedanken machen, welche Wirtschaft dem Menschen diene, statt ihn "unter Zahlen und Gewinnmaximierungen" verschwinden zu lassen. Weiter gehe es darum, allen Menschen weltweit ein Leben in Würde zu ermöglichen. Mit der Natur sei so umzugehen, dass auch künftige Generationen noch eine lebenswerte Umwelt vorfinden. Auch stelle sich die Frage, wie Konflikte zu behandeln seien, "dass nicht der vorschnelle Rückgriff auf Bomben und Gewehre" Versuche gewaltfreier Konfliktlösungen "ablöst und überlagert".
An die Christen appellierte Bedford-Strohm, sich in die Politik einzumischen. "Geht in die Parteien und helft mit, dass keine kleinkarierten parteipolitischen Streitereien die politische Szene beherrschen." Vielmehr gehe es um "ehrliches und leidenschaftliches Engagement für die Grundorientierung und deren Umsetzung in der politischen Praxis", sagte der Bischof in seinem Vortrag zum Thema "Authentisch und öffentlich - Kirche auf dem Weg in die Zukunft".
Beide Bischöfe mahnten an, sich in der Ökumene auch theologisch weiter anzunähern. Wo die Christen ihre "Konfessionen lieben", wo sie "authentisch" evangelisch oder katholisch seien, müssten sie auch eine ökumenische Sehnsucht im Herzen haben, sagte Bedford-Strohm. Denn da sei kein katholischer, evangelischer oder orthodoxer Jesus Christus, "sondern der eine Herr". Overbeck betonte, dass Begegnungen und andere "praktische Wege der Ökumene" hilfreich seien, um zu erkennen, was die Konfessionen verbinde. "Aber wir wissen auch, dass die Ökumene des Alltags, die in vielfacher Weise vorangeschritten ist, die Ökumene in den noch nicht gelösten Fragen weiterhin braucht." (bod/KNA)