"Pflegepläne verheerend"
Die geplante Reform bedeute eine "Verteilung von Wohltaten und verschärft die langfristig ohnehin großen Finanzierungsprobleme erheblich", sagte der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen der Zeitung "Die Welt". Der Leiter des Forschungszentrums Generationenverträge an der Freiburger Universität prognostiziert eine Verdoppelung des Pflegebeitragssatzes bis spätestens 2040. Der Beitragssatz liegt seit 2013 bei 2,05 Prozent; bei Kinderlosen kommen 0,25 Prozentpunkte dazu.
Ähnlich sieht das die Wirtschaft: "Mit den jetzt geplanten Leistungsausweitungen werden die Reserven der Pflegeversicherung trotz höherer Beitragssätze schon in wenigen Jahren aufgebraucht sein. Dann droht die nächste Beitragssatzanhebung", erklärte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Der Direktor des Max Planck Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik, Axel Börsch-Supan, monierte, dass mit der geplanten Pflegereform - ebenso wie mit den neuen Rentenleistungen - die verdeckte Staatsverschuldung erhöht werde. Denn die Politik verspreche Leistungen, deren Kosten in der Zukunft zu zahlen seien. "Die wahren Kosten der Sozialleistungen werden verschleiert und die langfristigen Finanzierungsprobleme noch verschärft", sagte Börsch-Supan der "Welt".
Wirtschaft fordert Leistungskürzungen, Patientenschützer Ausweitungen
Auch Sozialexperte Raffelhüschen hält Leistungskürzungen für dringend erforderlich. "Wir sollten in der Pflegestufe I eine Karenzzeit einführen, während der die Sozialversicherung noch keine Leistungen auszahlt." Man könnte mit drei oder sechs Monaten starten und dann die Wartezeit auf ein Jahr ausdehnen, so der Forscher. "Statt die Solidargemeinschaft für jeden Pflegefall zahlen zu lassen, sollen wir uns künftig in der Sozialversicherung darauf beschränken, das Großrisiko der teuren Langzeitpflege abzudecken."
Eine Ausweitung der Leistungen forderte dagegen die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Schwerstpflegebedürftige und Sterbende erhielten in den Heimen keine angemessene Schmerz- und palliativmedizinische Versorgung, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur. Auch ihre Facharztversorgung sei stark reformbedürftig. In deutschen Pflegeheimen leben etwa 723.000 Menschen.
Konkret sprachen sich die Patientenschützer dafür aus, einen zusätzlichen Pflegegrad für Sterbende in den letzten Lebenswochen in der Pflegeversicherung einzuführen. Damit solle die Benachteiligung sterbender Menschen in Pflegeheimen gegenüber Patienten in Hospizen beendet werden. "So könnten jährlich rund 280.000 Betroffene auf dem Niveau eines stationären Hospizes versorgt werden", sagte Brysch.
Kritik am geplanten staatlichen Vorsorgefonds
Weitere Kritik richtet sich gegen Gröhes Vorhaben, bei der Bundesbank einen staatlichen Vorsorgefonds aufzulegen. Der frühere Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, bezeichnete den Plan als "Unfug". "Kapital einer öffentlichen Kasse ist - auch wenn es von der Bundesbank verwaltet wird - nicht vor dem Zugriff durch die Politik gefeit." Der Ökonom Börsch-Supan kritisierte die Idee eines Pflegefonds ebenfalls scharf. "Man lässt den Hund nicht auf den Wurstvorrat aufpassen." Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigten, dass Regierungen angespartes Kapital immer nutzten, um Haushaltslöcher zu stopfen.
Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), wies diese Befürchtungen zurück und sagte, dass künftige Regierungen den staatlichen Vorsorgefonds nicht zweckentfremden könnten. "Wir werden ein Gesetz machen, das man nur ändern kann, wenn das der Deutsche Bundestag und der Bundesrat mehrheitlich beschließen", sagte der CDU-Politiker im RBB-inforadio.
Pflegebeauftragter: Froh über jeden zurückgelegten Euro
"Wenn Bundestag und Bundesrat irgendwann beschließen, diesen Fonds aufzulösen, dann kann man nichts dagegen tun. Aber man kann es so machen, dass das nur durch ein Gesetzgebungsverfahren geht, dass es darum eine Diskussion geben wird, dass man das nicht heimlich machen kann." Er stehe hinter diesem Fonds, betonte Laumann. Denn wenn die geburtenstarken Jahrgänge der heute Fünfzigjährigen pflegebedürftig werden, "werden die künftigen Verantwortlichen froh sein über jeden Euro, der für diese Zeit zurückgelegt worden ist".
20 Jahre Pflegeversicherung
Der Bundestag hat am 22. April 1994 die Pflegeversicherung beschlossen. Was hat sich seitdem im Bereich der Pflege getan? Wir tragen die wichtigsten Informationen rund um die Versicherung zusammengetragen.Der Wirtschaftsweise Rürup bezeichnete weiter die angekündigte Einbeziehung der Demenzkranken in die Pflegeversicherung als problematisch. Denn der Demenzgrad sei nicht so eindeutig diagnostizierbar und messbar wie ein körperliches Gebrechen, sagte er. "Die Gefahr bei der geplanten Erweiterung des Pflegebegriffs ist, dass dies zum Einfallstor für eine deutliche Leistungsausweitung wird."
Auch der Pflegebeauftragte nannte die Einführung neuer Pflegestufen bis 2017 als ehrgeiziges Ziel. "Jeder, der in der Materie tief drin steckt, weiß, wenn man es vernünftig machen will, braucht man diese Zeit einfach, um das vorzubereiten", sagte Laumann. Experten haben vorgeschlagen, in der Pflegeversicherung künftig statt drei fünf Pflegestufen einzuführen und die Leistungen für Demenzkranke zu verbessern.
Auch Familien müssen sich um Pflegebedürftige kümmern
Zugleich sprach sich Laumann für eine einheitliche Ausbildung von Pflegekräften aus. Es müsse eine "generalistische" Ausbildung "mit einer gewissen Spezialisierung" geben, so dass Pflegekräfte sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege arbeiten könnten. Das würde den Pflegeberuf attraktiver machen, betonte der CDU-Politiker. Die Chancen, hier zu einem einheitlichen System zu kommen, seien noch nie so groß wie jetzt gewesen.
Im Südwestrundfunk sagte Laumann, 20 Jahre nach der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung habe sich das jetzige System trotz einiger Probleme bewährt. Die Pflege sei sicher, wenn man genügend Menschen dafür begeistere, diese Arbeit zu tun. Außerdem müssten sich die Familien klar sein, dass sie sich auch in Zukunft um ihre Pflegebedürftigen kümmern müssten. Ohne häusliche Pflege werde es nicht gehen, so Laumann. (Mit Material von KNA)
Von Agathe Lukassek