"Präsenz von Polizei wichtiger denn je"
Frage: Frau Rindle, Sie sind die Leiterin der Kölner Bahnhofsmission. Was haben Sie von den Ausschreitungen in der Silvesternacht mitbekommen?
Rindle: Da die Bahnhofsmission von 7 bis 19 Uhr geöffnet hat, haben wir von der Nacht selbst zunächst nichts mitbekommen, sondern erst in den folgenden Tagen aus den Medien von den Details erfahren.
Frage: Und wie haben Sie reagiert?
Rindle: Ich war natürlich schockiert. Es ist immer grauenvoll, wenn Menschen Gewalt angetan wird. Es handelt sich hier um Straftaten, die selbstverständlich verfolgt werden müssen. Dabei ist es egal, wer sie begangen hat.
Frage: Sie arbeiten Tag für Tag am Kölner Hauptbahnhof. Welche Erfahrungen machen Sie mit Kriminalität?
Rindle: Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Bahnhofsmission werden häufig in irgendeiner Form mit Gewalt konfrontiert. Vor allem sind es aber die Opfer, die bei uns Hilfe suchen. Das kann die Frau sein, die von ihrem Mann verprügelt wurde und weggelaufen ist. Das kann der junge Mann sein, der auf der Straße verprügelt wurde. Das kann aber auch der asiatische Geschäftsmann sein, dem man hier am Bahnhof sein Notebook, sein Geld und sein Ticket geklaut hat. Ganz unabhängig von Köln sind Stadtzentren immer ein Ort, an dem sich unterschiedlichste Personengruppen treffen und es zu Problemen kommen kann. Und eben auch zu Kriminalität.
Frage: Würden Sie sagen, dass das aktuell aus dem Ausland importierte Probleme sind?
Rindle: Ein klares "Nein". Das sind keine importierten Probleme. Die gab es durchaus schon, bevor Flüchtlinge zu uns kamen, um hier Schutz zu suchen. Deshalb ist es mir immer wieder wichtig, dass der Fokus auf den Straftaten und nicht auf der Herkunft oder Hautfarbe der Täter liegt. Uns ist außerdem nicht bekannt, dass der Zustrom von Flüchtlingen zu einem Anstieg der Kriminalität geführt hat.
Frage: Also muss sich nichts ändern?
Rindle: Es ist jedenfalls keine Lösung, den Zuzug von Flüchtlingen zu begrenzen. Wenn es sich bestätigt, dass es sich bei den Tätern größtenteils um Männer aus Nordafrika handelt, dann müssen wir uns eher das Thema Integration noch einmal anschauen. Wir müssen lernen, dass es Integration nun einmal nicht kostenlos gibt. Sie bedeutet Arbeit und kostet deshalb auch Geld. Gerade weil aktuell viele Flüchtlinge kommen, ist das Thema dringender denn je. Und was die konkrete Prävention an Orten wie dem Kölner Hauptbahnhof angeht, finde ich den Einsatz von mehr Kameras eher zweifelhaft. Vielmehr ist die Präsenz von Polizei wichtiger denn je.
Frage: Kommen wir von den Tätern zu den Opfern. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat viel Spott für ihren Tipp geerntet, eine Armeslänge Abstand zu halten. Was raten Sie Betroffenen?
Rindle: Zunächst bin ich der Überzeugung, dass Frau Reker für etwas herhalten muss, was sie zwar gesagt, aber sicher nicht so gemeint hat. Ich schätze Frau Reker als eine sehr kompetente und zugewandte Frau, der der Schutz von Menschen – egal ob Frauen oder Männer – sehr am Herzen liegt. Wir selbst können nur raten, wenn es denn möglich ist, so schnell wie möglich Hilfe anzufragen. Zum Beispiel von vorbeigehenden Passanten. Aber auch das ist natürlich nicht immer möglich.
Link-Tipp: Übergriffe betreffen auch den Dom
Kölns Dompropst Gerd Bachner hat die Gewalttaten in der Silvesternacht verurteilt. Die Vorfälle beträfen "natürlich auch den Dom". Es brauche nun Maßnahmen, damit sich das Klima rund um den Dom nicht dauerhaft verschlechtere.Frage: Beraten Sie die Menschen, die zu Ihnen kommen, jetzt anders als vor der Silvesternacht?
Rindle: Nein, denn zu uns kommen das ganze Jahr über Menschen, die sich in irgendeiner Form bedroht fühlen.
Frage: Würden Sie denn sagen, dass sich die Atmosphäre am Kölner Bahnhof seit der Silvesternacht verändert hat?
Rindle: Aus meiner Sicht nicht. Ich hielte es auch für verfehlt, jetzt das eigene Verhalten zu ändern und beispielsweise das Gelände rund um den Bahnhof zu meiden. In jeder Großstadt, aber auch in ländlichen Regionen kann immer etwas geschehen. Es gibt nirgendwo eine hundertprozentige Sicherheitsgarantie. Ich persönlich würde mich in keiner anderen Stadt sicherer oder unsicherer fühlen als hier in Köln.