Reformationsjahr: Protestanten üben Selbstkritik
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sieht durchaus auch Fehler bei der Organisation des kürzlich zu Ende gegangenen Reformationsgedenkens. "Die frühe Bekanntgabe erwarteter hoher Teilnehmerzahlen für einige der Großveranstaltungen war im Rückblick ein Fehler", sagte er der "Rheinischen Post" (Samstag). "Es war einfach der Versuch, viele Menschen einzuladen. Man müsste beim nächsten Mal sicherlich vorsichtiger mit der Nennung von Zahlen sein."
Nun sei es so, ergänzte der bayerische Landesbischof, "dass schon eine Zahl von 100.000 Besuchern als Defizitzahl wahrgenommen wird, obwohl sie ja sehr groß ist". Bedford-Strohm zog insgesamt aber eine positive Bilanz: Auch jenseits der Debatte um Zahlen sei der Reformationssommer in Wittenberg "in jedem Fall ein Erfolg" gewesen: "Die Begeisterung der vielen Tausend Jugendlichen ist nur einer von vielen Gründen dafür."
Theologe warnt vor zu großer Staatsnähe
Das zu Ende gegangene Reformationsjahr wird auch Gegenstand der EKD-Synode sein, die ab Sonntag in Bonn tagt. Zuvor tagten dort bereits die Union Evangelischer Kirchen (UEK) sowie die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD). Auch bei deren Generalsynode wurde am Freitag Kritik an den zentralen Großveranstaltungen laut. Als deutlich negativ empfand der Hallenser Kirchenjurist Michael Germann den Ablauf des Festgottesdienstes zum Reformationstag am 31. Oktober in der Wittenberger Schlosskirche. Dort hatten der EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, dem Bundespräsidenten versprochen, "kräftig Zeugen der Hoffnung" sein zu wollen. "Ist das nicht zu staatsnah?", fragte Germann vor der VELKD-Generalsynode. "Erleben wir da eine Rückkehr des Treueeids der Bischöfe?"
Themenseite: Ökumene
Die Themenseite gibt einen Überblick über die aktuelle Berichterstattung von katholisch.de rund um das Thema Ökumene.Auch der Leipziger Liturgiewissenschaftler Alexander Deeg übte in der Rückschau deutliche Kritik. So seien viele Gottesdienste aus Anlass des Jubiläums medial inszeniert gewesen. "Es gilt, bei evangelischen Gottesdiensten weniger auf die Medien zu achten, als vielmehr auf die Menschen; weniger auf die Zentralität als vielmehr auf die Spiritualitiät des Gottesdienstes." Die schärfste Rückfrage zum Reformationsgedenken könnte Deeg zufolge lauten: "Gab es bei all dem, was wir gefeiert haben, vielleicht zu wenig Gott?" Es gebe eine Sehnsucht nach Gott, und zwar "nach einem Gott, der handelt, hier und jetzt und heute für Dich". Nach dem Gott, den "Martin Luther unter dem Schutt des kirchlichen Finanzwesens und der kirchlichen Jenseitsverwaltung neu entdeckte."
Zugleich würdigte die VELKD-Generalsynode das Reformationsgedenkjahr als ökumensichen Erfolg. Der Catholica-Beauftragte, Landesbischof Karl-Hinrich Manzke, erklärte in seinem Bericht: "Das Jahr 2017 ist nicht nur dafür genutzt worden, eine weitere Vertiefung der konfessionellen Differenzen zu verhindern, sondern man ist sich nähergekommen." Die Gottesdienste und Versöhnungsgesten seien "vielleicht mit größerer Intensität" genutzt worden, als dies Theologen und "routinierte Kirchenleute vorweg erwartet" hätten. Zugleich würdigte Manzke, dass sich die Katholiken in vielen Bildungs- und Diskussionsveranstaltungen mit den theologischen Anliegen der Reformatoren intensiv beschäftigt hätten.
Kritik an Woelkis Aussagen zur Ökumene
Irritiert zeigte sich der Landesbischof von den jüngsten Äußerungen des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki, der in einem Aufsatz mehr "Ehrlichkeit in der Ökumene" gefordert hatte. Beunruhigend sei dabei die "Charakterisierung angeblicher protestantischer Positionen" auf eine Art und Weise, "die in das Zeitalter konfessioneller Verzeichnungen gehören". Seine Positionszuweisungen zeigten, so Manzke, "dass die Rezeption der erarbeiteten Verständigung über bislang bestehende Differenzen noch einen weiten Weg vor sich hat".
Am Rande der Generalsynode bekannte der Leiter der VELKD, Landesbischof Gerhard Ulrich, dass die ökumenische Ausrichtung des Reformationsgedenkens auch auf evangelischer Seite problematische Aspekte mit sich brachte. So habe er "Mühe damit empfunden, dass es in den lutherischen Kirchen einen derartigen Papst-Hype gibt". Verschiedene Stimmen aus dem Luthertum hätten vorgeschlagen, den Papst zum Sprecher aller Christen zu machen. "Der Mensch Franziskus kann Sprecher aller Christen sein", sagte Ulrich am Freitag vor Journalisten. "Der Papst kann es nicht." (kim/KNA)