Ethnologin veröffentlicht Dreijahresstudie zu Muslimen in Deutschland

Religiöser und radikaler

Veröffentlicht am 04.04.2016 um 11:01 Uhr – Von Sandra Trauner (dpa) – Lesedauer: 
Religiöser und radikaler
Bild: © KNA
Islam

Wiesbaden ‐ Eine Ethnologin erforscht jahrelang das weltliche und religiöse Leben von Muslimen in Deutschland - und erlebt dabei in Echtzeit mit, wie sich Moscheegemeinden verändern und Jugendliche verstärkt radikalen Rattenfängern ins Netz gehen.

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Vor allem junge Muslime seien heute radikaler als zu Beginn des Forschungsprojekts. Aus dem Umfeld einer der Moscheen, die sie besucht hatte, sei ein 15-Jähriger in den "Heiligen Krieg" nach Syrien gezogen, "dezidiert, um Ungläubige zu töten", sagt Schröter. Damals wurde ihr klar, dass "das Beschaulich-Zurückgezogene", das sie erlebte, nur die eine Seite ist: "Genau in diesem Umfeld entsteht auch Gewalt."

"'Den' Islam oder 'den' Muslim gibt es nicht"

Schröter leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI). Die Ethnologin wählte eine entsprechende Methode: Teilnahme und Beobachtung. Sie interviewte 137 fromme Muslime aus 15 religiösen Einrichtungen und protokollierte die Gespräche. Ihr Ziel: "Ihren Standpunkt gewissermaßen von innen zu sehen". Fast 100.000 Wiesbadener haben laut Integrationsdezernat einen Migrationshintergrund - rund ein Drittel der Bevölkerung. Nach Angaben des Amts für Statistik gehörte schon vor Jahren rund jeder zehnte Wiesbadener einer muslimischen Glaubensrichtung an.

Linktipp: Theologe fordert Debatte über Gewalt im Islam

Der katholische Theologe Timo Güzelmansur fordert eine breite Debatte über das Verhältnis des Islam zur Gewalt. Dabei sieht er vor allem die islamischen Gelehrten in der Pflicht. Zugleich dürften Muslime nicht pauschal für Terror haftbar gemacht werden.

"'Den' Islam oder 'den' Muslim gibt es schlicht und ergreifend nicht", sagt Schröter. Selbst, wenn man nur jene betrachtet, die sich als strenggläubig verstehen, sind die Unterschiede riesig: Frauen, die kein Deutsch sprechen und keinem Mann die Hand geben, und Frauen, die aus dem Kopftuch ein Modeaccessoire machen. Erfolgreiche Unternehmensberater und Analphabeten. Kinder, die in der Moschee einen beschützenden Hafen finden, und Jugendliche, die ihre Eltern dafür kritisieren, nicht religiös genug zu sein.

Während ihrer Forschung hat sich deren Selbstverständnis verändert: "Die Identifikation [mit dem Islam] ist zurzeit sehr viel stärker als noch vor einigen Jahren." Schröter beunruhigt, dass so viele junge Muslime sich radikalisieren. Nicht wenige hätten ihr erzählt, sie hörten lieber die charismatischen salafistischen Prediger als die langweiligen Moschee-Imame. "So treiben sie einen ultraorthodoxen, in weiten Teilen sogar fundamentalistischen Islam voran."

Im letzten Teil ihres Buches nimmt Schröter die Integrationsmaßnahmen der Stadt Wiesbaden unter die Lupe. Die Bilanz ist ernüchternd. Ein Beispiel ist die Integrationsvereinbarung von 2007. Sie brachte den Gemeinden Erleichterungen beim Moscheebau, Förderprogramme und mehr Teilhabe. Die Kommune erhoffte sich im Gegenzug Mithilfe der Gemeinden bei der Eindämmung des Extremismus. "Dieses Ziel wurde jedoch nur unzureichend erreicht", urteilt Schröter in ihrem Buch.

Ein Muslim betet in einer Moschee.
Bild: ©KNA

Nach drei Jahren Forschung zu Muslimen in Deutschland sagt Ethnologin Susanne Schröter: Wenn alles nichts helfe, müsse den Moscheegemeinden auch mal klar gemacht werden, "wo sie hier eigentlich leben". Fördern sei wichtig, aber fordern ebenso legitim.

Was wäre aus ihrer "Innensicht" ein funktionierender Hebel? Früh anfangen, sagt die Wissenschaftlerin, spätestens in der Schule, "nur da haben wir eine Chance". Jugendarbeit dürfe nicht den Moscheen überlassen werden, sondern müsste kommunal und religionsübegreifend angeboten werden. Ferner: Mehr "mit" Muslimen reden als "über" sie - und zwar mit den Menschen vor Ort und nicht mit Funktionären. Und wenn das alles nichts hilft, müsse den Moscheegemeinden auch mal klar gemacht werden, "wo sie hier eigentlich leben". Fördern sei wichtig, aber fordern ebenso legitim.

Der Islam ist in Deutschland angekommen

Die ethnologische Sicht könne den Blick schärfen, sagt Schröters Frankfurter Kollege Bekim Agai, Professor für islamisch-theologische Studien. Es müsse beim Beobachten aber auch immer gefragt werden, wo das spezifisch Muslimische sei. So funktionierten gewalttätige Muslime nicht anders als andere gewaltaffine Menschen mit schlechten Sozialprognosen. Für Schröter ist eines klar: "Der Islam ist in Deutschland angekommen" und wird hier weiter heimisch werden. "Dabei wird er sich verändern, werden die Muslime sich verändern, wird sich unsere Gesellschaft verändern."

Von Sandra Trauner (dpa)