Der Kiewer Bischof Bogdan Dziurach über den neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko

Riesige Erwartungen

Veröffentlicht am 01.06.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ukraine

Kiew ‐ Der prowestliche Miliardär Petro Poroschenko hat vor einer Woche die Präsidentenwahl in der Ukraine gewonnen. Der Generalsekretär der griechisch-katholischen Bischofssynode des Landes, der Kiewer Weihbischof Bogdan Dziurach (47), schildert im Interview seine Sicht auf den Wahlsieger und dessen wichtigsten Aufgaben. Er spricht sich dagegen aus, dass Poroschenko wie sein amtsenthobener Vorgänger Janukowitsch den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. zur Amtseinführung einlädt.

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Frage: Bischof Dziurach, wie schätzen Sie den künftigen ukrainischen Staatspräsidenten Poroschenko ein?

Dziurach: In der Vergangenheit war er Außenminister, Wirtschaftsminister, Abgeordneter im Parlament, Ratsvorsitzender der Nationalbank. Das sind gute Voraussetzungen für das Präsidentenamt. Er hat auch eine wichtige Rolle bei der Orangenen Revolution 2004 und während der jüngsten Proteste gegen die Diktatur von Ex-Präsident Janukowitsch gespielt, was ihm bei den Wählern weitere Sympathie einbrachte. Die Wahlergebnisse bezeugen ein großes Vertrauen, das die Ukrainer ihrem neuen Präsident geschenkt haben. Sein Sieg mit fast 55 Prozent gegen 12 Prozent, die Julia Timoschenko erhalten hat, sieht sogar überzeugender aus als Putins Erfolg im Jahr 2000. Putin setzte sich bei seiner ersten Präsidentenwahl mit 53 Prozent gegen den Kommunisten Gennadi Sjuganow durch, der 29 Prozent erhielt. Neben dem Vertrauen spiegeln die Wahlergebnisse auch den tiefen Wunsch und die Sehnsucht der ukrainischen Gesellschaft nach Frieden, Stabilität und Sicherheit wider. Gerade mit Petro Poroschenko verbinden die Ukrainer diese Erwartungen. Der tiefe Riss zwischen den Politikern und der Gesellschaft, die zum sogenannten Euromaidan geführt hat und so viel Leiden und Opfer gebracht hat, verlangt eine radikale Erneuerung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Nicht umsonst trat Petro Poroschenko mit dem Wahlkampfslogan "Auf neue Art leben" an. Nicht nur die Gesellschaft muss neu denken und handeln. Da Poroschenko auf gewisse Weise aus der vergangenen Epoche stammt, wird auch er wie seine politische Mannschaft auf neue Art leben und handeln lernen müssen.

Weihbischof Bogdan Dziurach ist Generalsekretär der griechisch-katholischen Bischofssynode in der Ukraine.
Bild: ©KNA

Weihbischof Bogdan Dziurach ist Generalsekretär der griechisch-katholischen Bischofssynode in der Ukraine.

Frage: Was erwarten Sie von Poroschenko?

Dziurach: Dem neuen Präsidenten sollte es möglichst schnell gelingen, die Aggression Russlands zu beenden, den Frieden im Land wiederherzustellen und die Sicherheit aller Bürger zu gewährleisten. Danach kann er die notwendigen Reformen fortführen, Parlamentswahlen ansetzen, entschlossene Maßnahmen gegen Korruption und die Stabilisierung der Wirtschaft ergreifen. Wichtig ist, dass die Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit garantiert wird und Politiker dem eigenen Volk zuhören. Die Politiker müssen verstehen und lernen, dass sie die Angestellten des Volkes sind und seinem Wohl dienen sollen. Wir erwarten aber auch, dass unsere westlichen Freunde angesichts der fortlaufenden Aggression seitens Russlands weiter ihre konkrete und wirksame Solidarität zeigen. Nur gemeinsam werden wir imstande sein, die Unabhängigkeit der Ukraine zu verteidigen, die territoriale Integrität des Landes wiederherzustellen und die Stabilität auf dem gesamten europäischen Kontinent zu sichern.

Frage: Zum Amtsantritt von Viktor Janukowitsch als Staatspräsident kam 2010 der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. nach Kiew. Soll auch Poroschenko den Moskauer Patriarchen einladen?

Dziurach: Janukowitsch hat von Anfang an das Volk hintergangen und als Interessenvertreter eines fremden Staates gehandelt. Deshalb hat er die Oberhäupter der ukrainischen Kirchen ignoriert und sich nur vom russischen Patriarchen segnen lassen. Ich hoffe, dass der neue Präsident die Fehler seines Vorgängers nicht wiederholt und auf die Stimmungen der Mehrheit des Volkes Rücksicht nimmt. Und wenn ich diese Stimmungen richtig einschätze, wird ein solcher Besuch des Patriarchen Kyrill - nach all dem, was in den Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland in den letzten Monaten geschehen ist - weder gewünscht noch erwartet, nicht einmal von der Mehrheit der orthodoxen Gläubigen in der Ukraine.

Das Interview führte Oliver Hinz (KNA)

Zur Person

Der Kiewer Weihbischof Bogdan Dziurach (47) ist seit 2006 Generalsekretär der griechisch-katholischen Bischofskonferenz der Ukraine. 2009 übernahm er zusätzlich die Rolle des Kanzlers des Großerzbistums der Hauptstadt. Damit gehört er zu den wichtigsten Sprechern der mit Rom verbundenen Kirche, die von Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk (44) geleitet wird. Dziurach wurde am 20. März 1967 in der westukrainischen Region Lviv (Lemberg) geboren. Er studierte in Warschau, Straßburg, Innsbruck und Rom Theologie und schloss mit einer Promotion ab. 1991 wurde er zum Priester und 2005 zum Bischof geweiht. (KNA)

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