Ruhepol bei Tempo 120
Das scheinbar am Hang schwebende Gebäude sticht durch strahlend weiße Außenwände und eine geometrische Form mit spitzen Türmen hervor. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass es sich um eine Kirche handelt.
"Das Symbolhafte des Entwurfs hat uns besonders begeistert", sagt Ute Pohl. Der Architekt hat das Verkehrszeichen für Autobahnkirchen im Gebäude wieder aufgegriffen. Pohl ist Zweite Vorsitzende des Fördervereins Autobahnkirche Siegerland. Er hat auf Anregung des lokalen Unternehmers und Vereinsvorsitzenden Hartmut Hering seit 2009 die moderne und überkonfessionelle Kirche an der Sauerlandlinie auf den Weg gebracht.
Die 40. Autobahnkirche - finanziert aus Spenden
Nach Durststrecken und Problemen mit einer Holzbaufirma ist es nun vollbracht: Deutschlands 40. Autobahnkirche wird heute feierlich eröffnet. "Die Kirche ist ausschließlich aus privaten Spenden finanziert worden", betont Pohl. Dabei habe der Förderverein, der bereits bei der Gründungsversammlung mehr als 30 Teilnehmer hatte, jeden der etwa 1,5 Millionen Euro einsammeln müssen.
Das Siegerländer Projekt reiht sich ein in eine langjährige Tradition. Die erste Autobahnkirche wurde 1958 in Adelsried an der A8 bei Augsburg eingeweiht. Ziel war und ist es, Reisenden eine Möglichkeit zu geben, unterwegs einen Ort der Ruhe und Andacht zu finden. Auch bei Unfällen suchen Betroffene naheliegende Autobahnkirchen auf.
Stetig wachsende Beliebtheit
Über die Jahre hat die Beliebtheit der Kirchen an stark befahrenen Straßen stetig zugenommen. Nach Angaben der Gemeinschaft der Autobahnkirchpfarrer wachsen sowohl das Netz der Gotteshäuser als auch die Besucherzahl stetig. Jährlich zählen die evangelischen, katholischen und ökumenischen Gotteshäuser, die direkte Anbindung an eine Autobahnraststätte oder eine Abfahrt haben müssen, rund eine Million Besucher.
Die Autobahnkirche Siegerland fülle nun endlich einen weißen Fleck auf der Landkarte, erzählt Pohl. Bis dato habe es in der Region nur im Raum Münster beziehungsweise bei Wiesbaden Autobahnkirchen gegeben. Bis zu 50 Personen, etwa eine Busladung voll, finden Platz auf den 120 Quadratmetern im Inneren der Kirche. Nach dem futuristischen und kühlen Außeneindruck ist das warme Innenleben überraschend. Geschwungene Holzbögen in einer filigranen Struktur lassen das Gefühl einer Höhle aufkommen; am Altar dringt Licht durch das Deckenfenster und bringt das Kreuz zum Strahlen. "Mit der Dämmerung geht Innen und Außen die Beleuchtung an. Das gibt dem Raum noch einmal eine ganz andere Atmosphäre", sagt Pohl.
Ein Raum für Ruhe und Geborgenheit
Das Gotteshaus soll 365 Tage im Jahr rund um die Uhr geöffnet sein. "Wir wollten hier eine Kirche für jedermann und eine Kirche für unterwegs", sagt Pohl. Aus diesem Grund vereine das Gotteshaus ohne festen Pfarrer den katholischen, evangelischen und evangelisch-freikirchlichen Glauben - alle drei Glaubensrichtungen seien in der Region vertreten. Aber auch Andersgläubige seien in dem Haus willkommen. "Wir planen eine wöchentliche Abschlussandacht, vermutlich am Freitagabend", erzählt Pohl. Dafür hätten sie bereits mit dem lokalen überkonfessionellen Pfarrerstammtisch Kontakt aufgenommen. "Aber auch Laien sollen die Andacht gestalten dürfen", fügt sie hinzu.
Das Wichtigste sei ihnen gewesen, einen Raum zu schaffen, der Geborgenheit und Ruhe, aber auch Lebendigkeit ausstrahle. Spannend sei, wie es nun weiter geht. Es werde wohl Besuchergruppen geben, aber auch Veranstaltungen, etwa zum Tag der Autobahnkirchen am 16. Juni. Das alles jedoch mit Maß und Ziel. "Wir wollen diese Kirche mit Leben füllen, aber den Bereich der Ruhe auf alle Fälle beibehalten", sagt Pohl. "Viele suchen ja, obwohl die Kirchen an Gläubigen verlieren, nach einem Ort der Ruhe", sagt Pohl. Die Kirche stelle sich einem als Ruhepol förmlich in den Weg.
Von Anna Mertens (KNA)