Schöpfer des Einfachen
Auch wenn er nicht alleiniger Urheber der berühmten Taize-Gesänge ist - es ist sein Name mit dem Lieder wie "Bleibet hier und wachet mit mir" oder "Laudate omnes gentes" verbunden. Geboren am 27. Juni 1923, wurde ihm die Kirchenmusik buchstäblich in die Wiege gelegt. Vater und Mutter waren in Auxerre selbst Organisten und Chorleiter; Jacques' Kinderbett stand an der Wand neben dem Musikzimmer des Vaters. Hoch oben auf der Orgelempore und zwischen Kirchenchören wuchs der Junge auf. Im April 1930, mit knapp sieben Jahren, begleitete er erstmals die Messgesänge an der Chororgel der Kathedrale.
Mit 22 dann mitten im Sieg eine Niederlage: Die Militärkapelle seines Regiments war ausersehen, am Nationalfeiertag 1945 mit General de Gaulle durch den Arc de Triomphe zu defilieren. Doch seine zarte Oboe war dort nicht gefragt, weil sie von den Hörnern schlicht übertönt wurde. Berthier erhielt stattdessen das Becken zugeteilt. Fünf Kilo Bronze in jeder Hand - das bekam der schmächtige Musiker nicht gestemmt. So verbrachte er den glorreichen Tag am Ende mit Putzdienst in der Kaserne.
Auch Heiraten tat Berthier in eine Kirchenmusikerfamilie. Bei seinem Schwiegervater studierte er nach dem Krieg und wurde 1953 (unbezahlter) Organist an der Bischofs-kirche von Auxerre. Und obwohl er Mitte der 50er Jahre das Kurzwarengeschäft seines Onkels übernehmen musste, wollte Berthier doch immer seiner eigentlichen Profession nachgehen.
Zu katholisch für Taize
Eine Chance kam, als ihn 1955 der Jesuit Joseph Gelineau (1920-2008) und einige andere seiner Freunde um Antiphonen für seine Sammlung "53 Psalmen und 4 Lob-gesänge" baten - Berthiers erste Auftragskompositionen und Veröffentlichungen. Gelineau stand auch in Kontakt zur noch jungen Gemeinschaft von Taize, die schon damals auch auf Berthier zuging mit dem Wunsch einfacher Kompositionen. Doch der war einfach zu katholisch, so berichtete er später selbst amüsiert. Es wäre ihm damals schlicht noch nicht in den Sinn gekommen, für eine protestantische, wenn auch höchst ökumenische Gemeinschaft zu arbeiten. So fragte er bei seinem Erzbischof Frederic Lamy um Erlaubnis an, der ihm antwortete: "Zögern Sie nicht, das ist sehr gut!" So kam es zu ersten kleinen gemeinsamen Projekten.
Pere Gelineau, der Berthier Mitte der 50er Jahre bereits ein Entree als Komponist verschafft hatte, dachte 1960 auch an ihn, als in Paris ein Betreuer für die Schallplatten-Edition eines Musikverlages gesucht wurde. Berthier zog nach Paris und nahm dort zusätzlich eine Stelle als Organist der Pfarrei Saint-Ignace an.
Die eigentliche Geburtsstunde der "Gesänge von Taize " war das sogenannte Konzil der Jugend im Sommer 1974. Alles musste recht schnell gehen, denn die Gemeinschaft stellte fest, dass der gemeinsame Gesang der Tausenden Jugendlichen aus vielen Nationen nicht gut funktionierte. Jede Nation brachte zwar ihre Gesangstradition und ihre geistlichen Lieblingsstücke mit - doch die Jugendlichen aus anderen Ländern mussten wegen fehlender Kenntnisse der Sprache oder der Melodie meist stumm danebensitzen. Auch Übersetzungen klappten nicht gut.
Komponieren am Telefon
Es brauchte also gemeinsame Lieder für eine betende, internationale Jugend der 70er Jahre. Eile beim Komponieren war geboten. Wichtigster Partner Berthiers dabei wurde der Taize-Bruder Frere Robert Giscard (1923-1993), eines der ersten sieben Mitglieder der Kommunität. "Einige Kanons wurden sogar telefonisch diktiert", erinnerte sich Berthier. Sein wichtigstes Stilmittel für die Taize-Gesänge: das Ostinato, also eine sich stetig wiederholende Melodie oder ein Rhythmus, meist in acht Takten und zunächst immer mit lateinischem Text. Dazu wurden in der Oberstimme Soli in einer oder mehreren lebendigen Sprachen gestellt.
Ab Ende der 70er Jahre kamen auch Ostinati in Englisch ("Wait for the Lord"), Französisch ("Mon ame se repose"), Spanisch ("Nada te turbe") oder Deutsch ("Bleib mit deiner Gnade bei uns") dazu. Hunderte Briefe und Telefonate gingen zwischen Frere Robert und Berthier hin und her, mit denen sie an der Singbarkeit der einzelnen Lieder feilten. Das sogenannte Taize-Halleluja gehört übrigens keineswegs dazu: Es ist ein "Irrläufer", dessen Melodie aus dem England des 19. Jahrhunderts stammt und mit dem Text einer US-Liedermacherin schließlich bei der Jugend in Burgund landete.
Komponist des Einfachen
Jacques Berthier komponierte für Taize insgesamt 284 Gesänge. Für andere Gemeinschaften schuf er Hymnen, Psalmen, Antiphonen und Responsorien, etwa für die Zisterzienser von Citeaux oder für den Papstbesuch 1986 - insgesamt rund 1.200 Titel. Immer blieb er der Komponist des Einfachen: "Ich bin sehr auf die Liturgie hin ausgerichtet", sagte er am Ende seines Lebens in einem Interview: "Ich weiß nicht, wozu das nützen sollte, Konzertstücke für meine Organistenkollegen zu schreiben, die davon schon eine Menge zur Verfügung haben."
Nicht dass er keine Lust gehabt hätte, neben der "Gebrauchsmusik" auch Komplexeres zu komponieren, aber: "Meine Schränke sind voll mit Stücken meines Schwiegervaters, die niemals aufgeführt wurden: eine Oper von 600 Seiten, außerdem eine stattliche Anzahl von Symphonien, Trios und Quartetten. All das liegt ungenutzt da und kommt niemals zur Aufführung. Da schreibe ich lieber für Leute, die ich kenne."
Es gab auch Enttäuschungen
Berthier kritisierte die Kompliziertheit zeitgenössischer liturgischer Musik und bediente bewusst das Einfache: "Sobald das Konzil gefordert hatte, dass das Volk Gottes singen solle, begann das Volk zu singen, und es wird auch nicht damit aufhören, ganz im Gegenteil." Wie sein Vater, so sammelte auch er bei der Landbevölkerung Volkslieder mit eingängigen Melodien und schrieb sie auf. Das trug Früchte - besondere Früchte: "Einmal sagte ein Mönch zu mir, dass manche meiner Hymnen nach Pilzen schmecken."
Gleichwohl räumte der anspruchsvolle Ästhet Berthier ein, dass er oft enttäuscht und traurig war, wenn er seine Lieder gesungen hörte: "Wenn man voll Begeisterung mitten drin ist, ist das wahrscheinlich anders; man lässt die Dinge leichter durchgehen. Bisweilen höre ich schreckliche Gesänge, aber ich sehe, dass die Menschen beten. Also sage ich mir, dass es vielleicht nicht so schlecht ist." Jacques Berthier starb in der Nacht zu seinem 71. Geburtstag in Paris. Er hinterließ eine Frau, vier Kinder und viele Enkelkinder.
Von Alexander Brüggemann (KNA)