Schwester Doris und das Bier
Jeden Montag ist Brautag. Weil es dauert, bis das Sudhaus hochgeheizt wird, heißt das um halb vier Uhr morgens loslegen. "Damit wir die Energie ausnutzen und bis zum Abend fertig sind", erklärt die resolute Ordensfrau, die auch bei der Arbeit ihren weißen Kopfschleier trägt - und eine blaue Kittelschütze. Vom morgendlichen Chorgebet ist die Franziskanerin an Tagen wie diesen befreit.
Sieden, abkühlen, mit Hefe versetzen, gären und reifen lassen, abfüllen. Sechs Wochen gibt die Brauschwester ihrem Bier dafür - mehr Zeit als die meisten Großbrauereien. Dafür müssen sich die Genießer beim Trinken beeilen. Nach acht Wochen ist das "Mallersdorfer" schlecht. Weil Schwester Doris es ablehnt, dem Götzen Haltbarkeit ihre Überzeugungen zu opfern. Pasteurisieren, sterilisieren, kurzzeiterhitzen ist für sie des Teufels. "Nach drei Minuten bei 80 Grad ist doch alles kaputt: die Hefe, die Mineralstoffe, die ganzen Vitamine." Nein, mit so einem "Einheitsbier" hat die Franziskanerin nichts zu schaffen.
Gut 3.000 Hektoliter Gerstensaft produziert die Braumeisterin mit ihrem einzigen Angestellten im Jahr - dazu 800 Hektoliter Limonade. Das Sortiment ist überschaubar: Helles Vollbier, naturtrübes Zoigl und je nach Saison ein Bock. Seit dem Klosterjubiläum 2009 gelegentlich ein kupferfarbenes Festbier. Radler? "Da mach ich net mit bei dem Bschiss", sagt die Tochter einer mittelfränkischen Bauersfamilie bestimmt. Eine Flasche des Mixgetränkes zum selben Preis wie ein Bier verkaufen, obwohl das Limo viel billiger ist, noch dazu mit Süßstoff statt echtem Zucker - igitt.
Auch das für Bayern so typische Weizenbier oder Dunkles sucht man in Mallersdorf vergebens. Was der Brauschwester selbst nicht schmeckt, stellt sie auch nicht her. Apropos Geschmack: Beim Bier ist Schwester Doris eine Spätberufene. In ihrer Familie wurde, so weit sie sich erinnern kann, außer Most kein Alkohol getrunken. Die erste Halbe flößte sie sich 1974 ein - da hatte die Abschlussprüfung an der Brauereischule in Ulm schon begonnen.
"Mit zugehaltener Nase haben mich die Kollegen so weit gebracht", erinnert sie sich. Die süßlichen Dampfschwaden, die aus der Klosterbrauerei ins Internat herüberwehten, hatte sie schon als Schülerin kaum ertragen. Überhaupt - eigentlich wollte sie Landwirtschaft studieren. Doch dann wurde sie von Brauschwester Lisana zur Nachfolgerin auserkoren. Aus der Selbstüberwindung wurde rasch eine große Liebe. Der Duft von Hopfen und Malz? "Es gibt nix Besseres", sagt die 67-Jährige heute. Und zur Brotzeit am Abend lässt sie sich stets eine Halbe Selbstgebrautes schmecken.
Jede Woche verwandelt Schwester Doris 76 Hektoliter Wasser in Bier. Das ist weniger ein Wunder als solides Handwerk auf der Basis des 500 Jahre alten bayerischen Reinheitsgebots. Im Umgang mit dieser Lebensmittelvorschrift ist die Ordensfrau bekennende Traditionalistin. Auch Experimente mit Aromahopfen, der das Bier nach Mandarine oder Grapefruit schmecken lässt, sollen andere machen. Sie selbst kann den neumodischen Craft-Bieren nicht viel abgewinnen. "Die hopfengestopften Biere hängen am Gaumen." Eignen sich höchstens als Aperitif.
Auch anderen Trends in ihrer Branche verweigert sich die Brauschwester hartnäckig. Verdrängungswettbewerb, Wachstumszwängen und Marketinggags setzt sie ihr Bekenntnis zum "Kulturgut Bier" entgegen. Das hat seinen Preis. Der Kasten mit 20 edlen Bügelverschlussflaschen ("Wir hatten nie andere") kostet bei ihr stolze 14 Euro. Vom Halsetikett prostet die Braumeisterin den Zechern mit schaumvollem Krug fröhlich zu. Vom allgemein rückläufigen Bierkonsum oder gar einer Absatzkrise spürt sie nichts.
Die letzte klösterliche Braumeisterin der Welt ist längst ihre eigene Marke. Vermeintlich in Stein gemeißelte Gesetze der Betriebswirtschaft setzt sie außer Kraft. So reguliert beim Mallersdorfer Klosterbier nicht die Nachfrage das Angebot, sondern das Angebot die Nachfrage. In heißen Sommern gehen die Vorräte des öfteren zur Neige. Wer zu spät kommt, hat dann halt Pech gehabt. Aber deswegen mehr Bier brauen? Kommt gar nicht infrage.
18 Prozent des Mallersdorfer Bieres werden von den Klosterfrauen und ihren Angestellten selbst getrunken. Der Rest geht an Direktabholer oder wird über ausgewählte Verkaufsstellen zwischen Regensburg, Landshut und Straubing unter das durstige Volk gebracht. Große Getränkehändler sind für Schwester Doris tabu: "Ich lass mir keinen Preis diktieren, und ich bestimm', wer mein Bier kriegt." In ihre Geschäftspolitik lässt sie sich nicht einmal von ihrer Generaloberin reinreden. "Größe allein machts ned", lautet ihr Credo.
Um ihr Bier über weitere Strecken transportieren zu können, müsste sie es haltbarer machen, darunter würde dann aber wieder der Geschmack leiden. Soll doch jeder das Bier trinken, das in seiner Region erzeugt wird. Sorgen macht sich die Ordensfrau allenfalls um die Zukunft ihres Betriebs. Mit 67 Jahren hat sie das gesetzliche Rentenalter erreicht - das aber in ihrer Kongregation nicht gilt. "Im Kloster wird gearbeitet oder gestorben." Ist denn eine Nachfolgerin in Sicht? Schwester Doris seufzt: "Ich hoff immer noch, dass jemand kummt. Schau mer amal." Und dann schiebt sie noch in ihrem fränkischen Dialekt eine paradoxe Bemerkung hinterher: "Alle wollen ein Klosterbier, aber kanner tritt ins Kloster ei."
"Hopfen und Malz, Gott erhalt's" - das ist wohl die bekannteste Zusammenfassung jenes Regelwerks, das heute noch gern als die älteste bestehende Lebensmittelverordnung der Welt bezeichnet wird. Ob das wirklich so ist, kann bezweifelt werden. Auf jeden Fall wird am 23. April das sogenannte Reinheitsgebot 500 Jahre alt. Genau genommen ist es aber eine Landesordnung, die die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. an just diesem Tag im Jahr 1516 in Ingolstadt erließen. Darin widmeten sie auch der Bierherstellung eine Passage.
Lediglich Gerste, Hopfen und Wasser sollten der Regel nach zum Brauen verwendet werden. Doch es gab Vorläufer: In Augsburg wurde schon im 12. Jahrhundert eine Brauordnung erlassen, später auch in anderen Städten. Die 1516 getroffene Beschränkung auf Gerste sollte dafür sorgen, dass wertvolle Brotgetreide wie Weizen und Roggen nicht zum Brauen genutzt werden. Zum anderen musste auf Gerste Biersteuer gezahlt werden. Die Verordnung spülte also Geld in die Kassen der Herrscher.
Erst seit 1918 gibt es das Reinheitsgebot
Nach 1516 wurde die Regel vielfach variiert und neu gefasst. 1551 etwa erlaubte ein Erlass Lorbeer und Koriander als Zusatz, 1616 dann sogar Kümmel, Wacholder und Salz. Erst im 19. Jahrhundert wurde die alte Ordnung wieder aufgegriffen. Und erst am 4. März 1918 bezeichnete ein bayerischer Landtagsabgeordneter sie als "Reinheitsgebot". Die rechtliche Ausgestaltung für Deutschland findet sich im "Vorläufigen Biergesetz" von 1993. Das erlaubt den Zusatz von Zuckerarten ebenso wie den Einsatz von technischen Hilfsmitteln zur Filtrierung oder Hopfenextrakt.
In Deutschland dürfen Biere nur nach dieser Regelung hergestellt werden. Sonst dürfen sie nicht als "Bier" bezeichnet werden. Ausnahmegenehmigungen sind möglich, nur nicht in Baden-Württemberg und Bayern. Auch Hersteller von importiertem Bier sind nicht an das Biergesetz gebunden. Trotzdem oder gerade deshalb wird in Bayern der Geburtstag des Reinheitsgebots ausgiebig gefeiert. Am 22. April hat sich zum Festakt in Ingolstadt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigt. Außerdem gibt es zahlreiche Ausstellungen, darunter die Landesausstellung zu "Bier in Bayern" vom 29. April bis 30. Oktober in Kloster Aldersbach bei Passau.