"Segne du, Maria": Naiver Schlager mit tiefer Botschaft
Haben Sie sich schon einmal mit Muslimen über die Dreifaltigkeit unterhalten? Das ist ein hartes Geschäft, intellektuell ungemein anspruchsvoll. Und jetzt stellen Sie sich vor: Ihr muslimischer Gesprächspartner hat schiedlich-friedlich zur Kenntnis genommen, warum wir Christen den einen Gott in drei Personen bekennen und trotzdem Monotheisten sind. Und dann kommt der katholische Kirchenchor aus Kirchheim am Ries von der Ostalb und singt "Segne du Maria".
Da braucht's dann keinen Islam, um das mit dem Monotheismus und der Dreifaltigkeit anzufragen. Im Gotteslob sind nur drei Strophen abgedruckt, und die haben, gelinde gesagt, ein gewisses christologisches Defizit: Maria soll Haus und Hof und Herzen segnen, im Tod und im Leben, Tag und Nacht, aller Herzen. Immerhin: Einmal heißt es "Muttersegen", ein kleiner Verweis auf den Sohn Gottes ist da dann doch noch.
1870 hat Cordula Wöhler den Text geschrieben, im Mai, kurz nachdem sie ihren lutherischen Eltern eröffnet hatte, katholisch zu werden. Die Eltern hatten sie daraufhin des Pfarrhauses verwiesen. "Segne du, Maria" ist ihre Art, diese Verstoßung zu verarbeiten: aus dem lutherischen Pfarrhaus in die rettenden Arme der allerkatholischsten lieben Frau.
Ein Vers für jede Lebenslage
Irgendwann zwischen 1916 und 1926 setzte dann der niederbayerische Kirchenlieddichter Karl Kindsmüller den Text zu Musik: Eine eingängige, wunderbar schmachtende, romantische Melodie, in die man beim Singen all die Schutzbedürftigkeit der verstoßenen Dichterin, all die Sehnsucht nach den rettenden Armen der Muttergottes legen kann. Ein beliebtes Lied bei Maiandachten, bei Beerdigungen ("Segne du, Maria, unsre letzte Stund") und – mit einer wohl nicht auf Wöhler zurückgehenden Variante – bei Hochzeiten ("Segne Du, Maria, segne dieses Paar"): Da bleibt kein Auge trocken.
Als 1975 das Einheitsgesangbuch Gotteslob kam, war so viel scheinbar naive Volksfrömmigkeit wohl etwas zu viel in einer Zeit, als die kantigen Texte eines Huub Osterhuis, die mal dissonanten, mal jazzigen Melodien eines Peter Janssens en vogue waren. Nur in ein paar diözesane Eigenteile hatte es "Segne du, Maria" geschafft. Erst seit der Neuauflage des Gotteslobs 2013 ist es dank beharrlicher Lobbyarbeit von Fans des Lieds (so erzählt man sich) wieder drin: Der Schlager ist seither unter der Nummer 535 wieder in dem in allen Ausgaben erscheinenden Stammteil abgedruckt – mit besagten drei relativ jesus-freien Strophen.
Die Kunst des Sterbens
Unter dem Kitsch verbirgt sich aber doch etwas Tiefes: Hier wird die Unsicherheit, die Angst, die Ungewissheit angesichts der letzten Dinge, von Tod und Gericht nicht verschwiegen. Sich mit der eigenen "Todesstunde" zu befassen passt so recht nicht mehr in eine Zeit der enormen medizinischen Möglichkeiten und professioneller Betreuung am Lebensende. Dass Philosophie – und praktische Theologie – auch und zuvörderst eine "Ars moriendi", eine Kunst des Sterbens ist, ist fremd geworden – nicht in diesem Lied, das die ganze Verletzlichkeit der Conditio humana in ein tröstendes Flehen zur Muttergottes packt, die doch selbst den größten Schmerz unterm Kreuz erfahren hat, den Eltern kennen können. Maria kann helfen, weil sie mitleidet.
Und immerhin: In einer der vielen Fassungen kommt, ganz am Ende, doch noch der Grund der Hoffnung und des Trosts – durch Maria zu Jesus:
"Segne du, Maria, Mutter Gottes mein,
lass mich hier auf Erden dir befohlen sein.
Führe mich zu Jesus, deinem Sohne hin,
dass in seiner Liebe ich geborgen bin."