Siebzig Gerechte
Dieses Bauwerk ist der größte Kuppelbau der Antike, errichtet von Kaiser Hadrian in den Jahren 117 bis 138 nach Christus, geweiht den sieben Planetengöttern Apollo, Diana, Jupiter, Mars, Merkur, Saturn und Venus, zur Verehrung aller Götter, die in den von Rom unterworfenen Provinzen verehrt wurden. Kaiser Phokas schenkte im 7. Jahrhundert das leerstehende Pantheon Papst Bonifaz IV. Am 13. Mai des Jahres 610 wurde es als christliche Kirche in Rom zu Ehren der Gottesmutter und aller Märtyrer geweiht.
Das war die Geburtsstunde des Allerheiligenfestes. Das Pantheon, Tempel aller Heidengötter, wird also zum Gotteshaus. In jenem Tempel, der aufgrund des heidnischen Glaubens errichtet wurde, die Sterne würden das Schicksal der Menschen lenken, gedachte man nun jener, die ihr Schicksal aufs Engste mit Jesus Christus verbunden hatten. Das aber sind nicht nur die Heiligen, deren Namen im Kalender der Kirche verzeichnet sind und die wir als unsere Namenspatrone verehren, das ist die viel größere Zahl der Unbekannten, die Jesus in den Seligpreisungen der Bergpredigt (vgl. Matthäus 5,1-12) meint.
Schwach und auf Gottes Hilfe angewiesen
Es sind jene, die in dem Bewusstsein der Größe und Heiligkeit Gottes sich selbst als das erkannt haben, was sie und wir alle in Wahrheit sind: schwach und in allem auf Gottes Hilfe angewiesen. Jene auch, denen die Fähigkeit zu trauern noch nicht abhanden gekommen ist, die sich Leid und Not zu Herzen gehen lassen, ihre Seele nicht betäuben und zubetonieren.
Wir finden sie, wo versucht wird, die Schwächen und Fehler der Mitmenschen nicht brutal an den Pranger zu stellen, sondern Barmherzigkeit zu üben, weil man sich selbst auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen weiß. Es sind auch jene, die mit sich in Frieden leben und daher die besondere Fähigkeit besitzen, in der Welt Frieden zu stiften.
Wider die Kraftmeierei
Ich denke an solche, die die heutzutage allseits gängige Kraftmeierei von sich fernzuhalten versuchen, die unter uns sich breit machende mörderische Einstellung der Ellenbogen, jemanden zu erledigen, fertig zu machen, kaltzustellen, kaputtzumachen. Ich kenne, Gott sei Dank, Menschen in meiner Umgebung, die Abschied genommen haben von der Meinung, Computer seien interessanter als Menschen, abstrakte Termine wichtiger als konkrete Begegnungen, das Verteilen von Ratschlägen wesentlicher als das Wagnis, konkret zu helfen.
Eine alte jüdische Legende erzählt, es gäbe in jeder Menschengeneration auf der Erde siebzig Gerechte, um derentwillen Gott es nicht zulässt, dass die Welt elend zugrunde geht. Die Wahrheit dieser Legende ist zugleich die Botschaft des Allerheiligenfestes: Die verborgene Heiligkeit jener, die ihr Leben nach dem Grundsatz der Bergpredigt ausrichten, bewahrt die Welt vor dem Absturz in Chaos und Zerstörung.
Menschen, die Licht bringen und brachten
Mit Sicherheit kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser von katholisch.de, solche Menschen, die Ihnen Licht und Liebe bringen oder brachten. Wir finden sie auch unter denen, die aus unserer Familie, unserem Freundeskreis gestorben sind. Und deshalb sollten wir, wenn wir am Abend von Allerheiligen auf den Friedhof gehen, nicht nur ein paar Blättchen vom Grab räumen und ein wenig an den Blumenstöcken rücken. Es ist merkwürdig, wie fachmännisch wir mit den Grablampen herumhantieren und wie wenig wir dann noch Zeit und Ruhe haben, vor dem Grab zu sagen: "Gott, wie viel Licht hast du durch diesen Menschen in mein Leben gebracht. Was wäre ich arm geblieben ohne ihn!"
Wenn wir uns also am Grab auf das Licht besinnen, das uns durch einen konkreten Menschen geschenkt wurde, dann werden wir nicht nur beten: "Herr, gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm." Sondern auch: "Herr, ich danke dir, dass er in mein Leben Helligkeit und Freude brachte."
Von Heinz Josef Algermissen