Spontaner Willkommensgruß
Kurz nach halb vier kommt Bewegung in den Pulk. Der Zug aus Österreich ist endlich eingetroffen. Als die ersten Passagiere durch den abgesperrten Korridor gehen, brandet Beifall auf. Die Müdigkeit ist den Menschen anzusehen - und noch viel mehr, was sie in den letzten Wochen mitgemacht haben.
Trotzdem huscht dem einen oder anderen ein Lächeln übers Gesicht: endlich in Deutschland. Viele junge Männer sind dabei, aber auch Familien aus Syrien, die es bis München geschafft haben. Ein oder zwei kleine Rollkoffer sind zu sehen, die meisten aber tragen gerade mal einen kleinen Rucksack oder ein bis zwei Plastiktüten mit ihren Habseligkeiten.
Eigentlich wollten beide nur zusammen essen
Unter den ersten, die sie begrüßen, sind Münchens Kardinal Reinhard Marx und der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatten sich zum Mittagessen getroffen. Eigentlich wollten sie nur ein paar Dinge besprechen, die in letzter Zeit angefallen waren. "Doch dann haben wir uns spontan entschieden, hierherzukommen", erzählt Marx. Auslöser seien die permanent eingehenden Nachrichten über die Flüchtlinge auf dem Smartphone gewesen.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Nun schütteln beide die Hände von ankommenden Flüchtlingen, machen Small-Talk und scherzen mit Kindern. Als ein Mann einen Zettel verliert, hebt Marx ihn sofort auf und bringt ihn hinterher. Wer weiß, ob vielleicht wichtige Adressen oder Telefonnummern draufstehen? Auch mit Polizisten, Sanitätern, Bahnbeamten und anderen Helfern sprechen die Bischöfe. Marx lobt das große Engagement der vielen Ehrenamtlichen, aber auch die Arbeit der Behörden auf allen Ebenen. Diese Willkommensbereitschaft, auch von der Bevölkerung, nennt er ein "gutes Zeichen".
Krisenstäbe tagten in der Nacht
Gut 400 Menschen dürften in diesem Zug gewesen sein. Bis zum späten Abend werden es mehrere Tausend sein, am gesamten Wochenende bis zu 7.000. Regierungspräsident Christoph Hillenbrand machen diese Zahlen keine Angst mehr. Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU), Polizei und Behörden sind sich einig: dies muss zu schaffen sein.
Müller spricht von einer "humanitären Herausforderung". Zugleich erinnert sie daran, dass es eine "gesamtdeutsche Aufgabe" sei, diese zu meistern. Die ganze Nacht über hätten Krisenstäbe getagt, wie die Verteilung und das medizinische Screening bewerkstelligt werden können. Jetzt stehen Busse bereit, um die Ankommenden gleich zu vier zentralen Stellen zu bringen.
Mittlerweile greift auch der Königsteiner Schlüssel, der die prozentuale Aufteilung der Flüchtlinge auf alle Bundesländer regelt. Ein weiterer Sonderzug hält nur kurz am Münchner Ostbahnhof und fährt nach kurzem Personalwechsel weiter ins thüringische Saalfeld.
Auch Oberbürgermeister Reiter dankt allen Kräften und lobt die freiwilligen Helfer als "unverzichtbar". Mehr als 600 - vom Studenten bis zum Rentner - hätten sich in den letzten Tagen registrieren lassen und gäben der Betreuung ein "menschliches Antlitz".
Europa kann sich bei der Asylfrage bewähren, ist Müller überzeugt. Dringend nötig sei ein Sondergipfel der Regierungschefs. Hillenbrand gibt indes die Losung aus: "Wir wollen alles tun, dass München, Bayern und Deutschland leuchten."
Und auch Kardinal Marx ist sichtlich froh über den überwältigenden Empfang. Gab es doch in den letzten Wochen auch ganz andere Signale gegenüber Flüchtlingen. Im aktuellen "Spiegel" nennt er fremdenfeindliche Ausschreitungen eine "Schande". Aus Sicht der Kirche sei es entsetzlich, was mancherorts passiere. Denn "ausländerfeindlich und katholisch zu sein geht nicht zusammen."