Religionspädagoge Gottfried Bitter über Karfreitag

Tag des Heils?

Veröffentlicht am 29.03.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Karfreitag

Bonn ‐ Karfreitag ist eigentlich kein Feiertag: eine Hinrichtung kann man nicht feiern. An diese Hinrichtung Jesu kann man sich nur erinnern, Christen und Nicht-Christen allerdings in unterschiedlicher Weise - vielleicht als das gewaltsame Ende eines religiösen Schwindlers oder auch als Ende eines großen Utopisten, der vom Reich Gottes unter allen Menschen träumt und den sein Gott fallen gelassen hat.

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Ein solcher Gott ist abschreckend, widerlich. Karfreitag ist ein Ärgernis, ein Skandal - für einen möglichen Gott und für alle Menschen, weil der Karfreitag auch an die Qualen und Schrecken erinnert, die Menschen anderen Menschen angetan haben und heute antun: um eines gesuchten allgemeinen oder privaten Paradieses willen. Und Gott greift nicht ein. Und doch feiern die Christen den Karfreitag als Heilstag. Ein Widerspruch?

Nein, denn sie sehen das Kreuz mit dem hingerichteten Jesus angestrahlt vom Licht des Ostermorgens. Und damit ist die Todesnacht vom Leben, vom unzerstörbaren Leben überwunden. Warum? Christen sehen und hören in allem, was Jesus in seinem öffentlichen Leben sagt und wirkt, Gott selbst sprechen und handeln: zugunsten aller Menschen und bevorzugt der Menschen, die am Rand stehen und nichts zu lachen haben.

Je mehr man sich den Berichten von der Exekution des jüdischen Wanderpredigers Jesus nähert, umso herausfordernder werden die unterschiedlichen Stimmen der Deutung und der Verehrung, die Stimmen des Unverständnisses und der Ablehnung: Von einem Gott, der seinen Sprecher tatenlos umbringen lässt, ist nicht viel zu halten, aber auch genauso wenig von einem Gott, der von seinem angeblichen Sohn als Sühneleistung für die Sünden der Menschen diesen Verbrechertod am Kreuz erwartet oder gar fordert.

"Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Und wenn Jesus in Treue zu seinem Leben und Wirken entschieden in den Tod geht, dann wird sein Tod am Kreuz zum höchst zuverlässigen Bekenntnis seiner Berufung: den Menschen in Gottes Namen einen Weg in ein anderes Leben zu zeigen, das nicht auf Haben und Herrschen aus ist, sondern auf Teilen und Dienen und Mit-Leiden. Christen wagen sogar, sich mit dem Markus-Evangelisten (Mk 15,34) daran zu erinnern, dass Jesus die äußerste Gottesfinsternis mit uns teilt und schreit: "Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?". Ein unerträglicher Gedanke: Gott lässt seinen Propheten in höchster Not allein. Oder aus nachösterlicher Perspektive gesprochen: der Vater lässt seinen Sohn von Menschenhand in den Verbrechertod treiben. Ein entsetzlicher Vater, ein Sohn zum Erbarmen. Oder?

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Video: © Phillipp Arnold

Animation zu Karfreitag

Erst wenn Christen aus der Osterperspektive lange auf das Kreuz Jesu schauen in Verbindung mit dem Leben und Wirken Jesu und vielleicht auch noch auf die Gotteserzählungen des Alten und des Neuen Testaments, dann kommen sie zu einer alle üblichen Gottesvorstellungen umwerfenden Einsicht: Das Kreuz mit dem sterbenden, mit dem toten Jesus ist die unübertreffliche Darstellung der geglaubten Menschenliebe Gottes in Person.

Das Kreuz ist die eigentliche Gottesoffenbarung. Darum ist das Kreuz - als Zeichen des Todes, das durch das Osterereignis seiner alles zerstörenden Macht beraubt wird, und darum zugleich Zeichen des Lebens wird - das Symbol des Evangeliums Jesu Christi. Wenn die Christen so das Kreuzereignis fragend, zitternd, mutig ungläubig-gläubig glauben und in ihr alltägliches Leben aufnehmen, dann können sie auch - noch immer fragend, staunend, aber auch dankbar, freudig - die Karfreitagsliturgie mitfeiern und den Schandpfahl "Kreuz" sogar begrüßen, sogar verehren.

Im Kreuz ist Leben

Nachdem das in der ganzen Karwoche verhüllte Kreuz jetzt nach und nach entblößt wird und die Gemeinde zusammen mit den Altardienern dreimal in jeweils ansteigender Tonlage singt: "Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung", gehen alle Mitfeiernden unsicher und mutig zugleich zum Kreuz, zu diesem Zeichen des Widerspruchs, beugen ihr Knie und legen verehrend die Hand an die Kreuzbalken. Alle knien vor dem Kreuz nieder: die Heiligen und die Sünder, die Einfältigen und die Weisen, die Glaubenden und die Zweifler, denn das Kreuz ist das Zeichen des Todes und des Lebens durch alle Zeiten.

Zuerst wird das Kreuz in stiller Verehrung angeschaut. Und dann wird ein in der römischen Liturgie einzigartiges Lied gesungen, die Improperien, die Klagen, die Anklagen Jesu, die an das Volk Gottes, an diese Gemeinde gerichtet sind und die dem Sterbenden in den Mund gelegt werden: "Mein Volk, mein Volk, was habe ich dir getan? Womit habe ich dich betrübt? Antworte mir! Aus der Knechtschaft Ägyptens habe ich dich herausgeführt. Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser?" Darauf antwortet die Gemeinde in griechischer Sprache: "Hagios ho Theos. Hagios Ischyros. Hagios Athanatos, eleison hemas" ("Heiliger Gott, Heiliger, starker Gott, Heiliger unsterblicher Gott, erbarme dich unser.").

Die Christen sind schon komische Leute: Sie feiern die Karfreitags-Katastrophe ihres Jesus. Aber wer genauer hinschaut, erkennt: Christen feiern den Karfreitag als Tag des Heils, weil Jesus in Gottes Namen in seinem Tod das Ostertor öffnet, zu einem Leben, das kein alles vernichtender Tod mehr bedroht. Denn die Christen leben die kühne Überzeugung, dass Gott selbst sich in Jesus mit uns todesbedrohten Menschen solidarisiert und sie in neues, endgültiges Leben führt.

Von Gottfried Bitter

Zur Person

Professor Dr. Gottfried Bitter CSSp (76) ist Mitglied der Ordensgemeinschaft der Spiritaner und war von 1980 bis zu seiner Emeritierung 2002 Lehrstuhlinhaber für Religionspädagogik und Homiletik an der Universität Bonn. Heute ist er als Seelsorger an der Pfarreiengemeinschaft Remagen-Kripp tätig.

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