Jörg Lauster über das anstehende Reformationsgedenken

Theologe warnt vor Überhöhung Luthers

Veröffentlicht am 01.09.2016 um 09:40 Uhr – Lesedauer: 
Reformation

Berlin ‐ Keine Frage: Martin Luther war eine entscheidende Figur in der Kirchengeschichte. Aber wie sollte man heute mit seiner Person umgehen? Der evangelische Theologe Jörg Lauster hat eine Antwort.

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Vor einer protestantischen "Selbstverklärung" und einer Überhöhung des Reformators Martin Luther (1483-1546) beim bevorstehenden Reformationsgedenken hat der Münchner evangelische Theologe Jörg Lauster gewarnt. Das 500-Jahr-Jubiläum sollte vielmehr genutzt werden, "offener mit Identitätsfixierungen umzugehen" und sie zu brechen, sagte Lauster am Mittwochabend bei einem Vortrag in der Katholischen Akademie in Berlin. Ironisch sprach Lauster von einem "protestantischen Lutherwunder", das darin bestehe, dass zwei "komplett gegensätzliche" Strömungen innerhalb der evangelischen Kirche - konservative Lutheraner und Liberale - dem Reformator eine ungebrochene "Verehrung" zukommen ließen.

Ungeachtet dieser Überbetonung und der Tatsache, dass es nicht eine einzige, sondern mehrere Reformationen gegeben habe, maß Lauster Luther dennoch eine zentrale Rolle im Wandel des Christentums im 16. Jahrhundert zu. "Ohne ihn hätte die Reformation eine andere Gestalt angenommen", betonte der Theologe. Die Reformation stelle neben der Konstantinischen Wende im 3. Jahrhundert und dem Eintritt in die Moderne um 1800 eine der drei großen "Epochenzäsuren" des Christentums dar.

Luther wandte sich gegen "Überdogmatisierung"

Zu den positiven Entwicklungen der Reformation zählte er den Freiheitsgewinn des Einzelnen, die Stärkung der Person und den Appell an das Gewissen. Andererseits sei Luther von Zügen der Unduldsamkeit geprägt gewesen und habe Tendenzen zur Intoleranz und zur "Überdogmatisierung der Theologie" Vorschub geleistet. "Die Unterscheidung von 'wahr' und 'falsch' wurde zu einem vorherrschenden Moment der Theologie des 16. Jahrhunderts", betonte Lauster. Dies habe etwa zu einer "Dynamik des ständigen Perfektionismus" und einem "Überbietungszwang" bei der Umsetzung der reinen Lehre geführt.

Im Blick auf die Gegenwart wandte sich Lauster gegen Verklärungen der Vergangenheit und Bestrebungen nach einer Rekonfessionalisierung, die er etwa unter Theologiestudenten feststelle. "Es steht fest: Es gibt keinen Weg zurück, das Tor ist zu", erklärte er. Die Reformation sei heute weniger als geschichtliches Ereignis sondern als ein "Prinzip der Kultur- und Christentumsgeschichte" zu verstehen. Deshalb dürfe das Neue einer Epoche nicht vorschnell als "Entchristlichung" abqualifiziert werden. Zugleich könne im Rahmen einer "ökumenischen Lerngeschichte" die Pluralisierung des Christentums auch theologisch aufgewertet werden: "Das Göttliche muss sich naturgemäß auf vielfältige Weise zeigen", meinte Lauster. (KNA)

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