Bundestag gibt der Beschneidung eine gesetzliche Grundlage

Toleranz und Rechtssicherheit

Veröffentlicht am 13.12.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Politiker diskutieren im Bundestag.
Bild: © KNA
Beschneidung

Berlin ‐ Juden und Muslime in Deutschland können wie bisher rituelle Beschneidungen an Jungen vornehmen, ohne sich vor Strafverfolgung fürchten zu müssen. Mit einem eigenen Gesetz gab der Bundestag der Beschneidung aus nichtmedizinischen Gründen am Mittwoch eine rechtliche Grundlage.

  • Teilen:

Es gibt zugleich klare medizinische Rahmenbedingungen. Damit dürfte sich die erhitzte Debatte um die Zulässigkeit des jahrtausendealten Ritus wieder beruhigen. In der zweistündigen Abschlussdebatte sprach Unions-Fraktions-Vize Johannes Singhammer (CSU) von einem "wichtigen Beitrag für den inneren Frieden in Deutschland".

Auslöser war eine Entscheidung des Kölner Landgerichts vom Mai. Es hatte die Beschneidung als strafbare Köperverletzung gewertet. Vermutlich hätte die nächste Instanz den Richterspruch wohl wieder aufgehoben. Doch sorgte das Urteil für eine so tiefgreifende Verunsicherung unter Juden und Muslimen, dass sich der Bundestag zu raschem Handeln gedrängt sah. Die Gesetzesvorlage der Regierungskoalition gießt nun die bislang vorherrschende Rechtsauffassung in ein eigenes Gesetz. Und sie untermauert, dass "jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland erwünscht ist" - wie es vor einigen Monaten ein Antrag des Bundestages an die Regierung verlangte.

Kulturelle Heimat in Frage gestellt

Die Religionsgemeinschaften sahen nach der Kölner Entscheidung über Nacht ihre kulturelle Beheimatung in Deutschland infrage gestellt. Antisemitische und ausländerfeindliche Auswüchse taten ein Übriges. So meldeten sich auch Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ungewohnter Deutlichkeit zur Wort. Rein juristisch gesehen ging es um eine Güterabwägung zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes, dem Fürsorgerecht der Eltern und dem Recht auf Religionsfreiheit.

Doch stand weit mehr zur Debatte: Letztlich ging es um eine neue Gewichtung der Grundrechte in einer religiös pluralen und zugleich säkularer geprägten deutschen Gesellschaft. Die Befürworter des Regierungsentwurfs machten vor allem die Religionsfreiheit und das Elternrecht stark. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hielt fest: "In unserem modernen und säkularen Staat ist es nicht die Aufgabe des Staates, die Erziehung des Kindes vorzunehmen."

Eine deutlich andere Gewichtung traf der alternative Gesetzentwurf, der 91 Stimmen erhielt. Er stellte die körperliche Unversehrtheit des Kindes in den Vordergrund und leitete daraus weitreichende Eingriffsrechte des Staates in Elternrecht und Religionsfreiheit her. Wie das Kölner Gericht sah der Entwurf in der Beschneidung eine "schwere und irreversible Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit". Beschneidungen dürften deshalb erst ab 14 Jahren mit Einwilligung des Betroffenen möglich sein. Diana Golze (Die Linke) hob etwa hervor: Die Rechte des Kindes könnten nicht dort aufhören, wo Religion anfange.

Halt in der Gemeinschaft geben

Eindringlich warnte demgegenüber etwa SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier davor, dass ausgerechnet Deutschland als erstes Land in der Welt die Beschneidung nach jüdischer Tradition verbieten würde. Andere Anhänger des Regierungsentwurfs hoben auf die Bedeutung des Ritus ab: Eltern wollten mit der Beschneidung ihren Kindern eine soziale und kulturelle, vor allem aber religiöse Zugehörigkeit ermöglichen, die ihnen selbst Halt und Bestand verleiht - analog der christlichen Taufe. Damit handelten sie durchaus im Sinne des Kindeswohls.

Der Bundestag hat nun wieder Rechtssicherheit für Juden und Muslime hergestellt. Vertreter beider Religionsgemeinschaften, aber auch die beiden großen Kirchen, begrüßten die Entscheidung. Damit habe der Bundestag auch das "Elternrecht auf religiöse Erziehung gestärkt", meinte der Aachener katholische Bischof Heinrich Mussinghoff im Namen der Bischofskonferenz. Und Steinmeier hob das Prinzip der religiösen Toleranz als einen Kern des großen Erbes der Aufklärung hervor.

Von Christoph Scholz