"Unerwünscht und provokant"
Viel schwerer als der Verzicht auf einen ukrainischen Pass dürfte dem Patriarchen gefallen sein, dass er das Nachbarland jetzt auf absehbare Zeit nicht mal mehr besuchen kann. Seit Russland die ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim im März annektierte, gilt in Kiew Kremlchef Wladimir Putin als Feind der Ukraine. Die 23-jährige Ukrainerin Anastasia Dmitruk rechnete etwa mit dem Gedicht "Wir werden nie Brüder sein" mit Russland ab. Eine Band vertonte es. Der Song wurde ein Hit.
An der Einreise gehindert
Wegen der politischen Spannungen zwischen Moskau und Kiew verzichtete Kyrill I. nun auch auf eine Teilnahme an der Begräbnisfeier für Metropolit Wolodymyr von Kiew und der ganzen Ukraine, obwohl dies eigentlich ein Pflichttermin für ihn war. Ein Sprecher der russisch-orthodoxen Kirche sagte, die Anwesenheit Kyrills I. hätte in der Ukraine zum "Vorwand für einen erneuten Auftritt radikaler Kräfte" dienen können. Als Vertreter des Moskauer Patriarchats kam stattdessen Außenamtschef Metropolit Hilarion zu der Totenmesse nach Kiew.
Noch im Mai hatten Grenzschützer Hilarion am ukrainischen Flughafen Dnipropetrowsk an der Einreise gehindert. Nun erklärte ein ranghoher Vertreter des ukrainischen Grenzschutzes, für die Begräbnisfeier sei das bestehende Einreiseverbot für eine Reihe von Russen vorübergehend aufgehoben worden.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte das Einreiseverbot für Hilarion im Mai als "Provokation" verurteilt. Er warf Kiew vor, die "edle Rolle" des Moskauer Patriarchates bei der Verteidigung der jahrhundertealten russisch-ukrainischen Beziehungen zu torpedieren. Die russisch-orthodoxe Kirche hatte den Vorfall gerügt und von einem Versuch gesprochen, den politischen Konflikt auf die "religiöse Ebene zu verlegen". Das Moskauer Patriarchat werde an seiner "friedensstiftenden Mission" gehindert.
Nah am Kreml
Verständnis äußerte damals die römisch-katholische Kirche der Ukraine. Es sei richtig, allen Personen die Einreise zu untersagen, von denen "Provokationen, Aufwiegelung und antiukrainische Aussagen" ausgehen könnten, sagte der Bischof von Charkiw, Stanislaw Szyrokoradiuk . Dazu gehörten auch russische Bischöfe, vor denen sich die Ukraine und ihre orthodoxen Bürger schützen müssten.
Die russische Orthodoxie steht traditionell dem Kreml nahe . Kyrill I. hatte sich in der Vergangenheit mehrfach mit Putin solidarisiert, was in der Ukraine gut bekannt ist. Allerdings äußerte er sich in der Öffentlichkeit nicht zur Krim-Annexion. Der Patriarch fehlte überraschend bei einer Ansprache Putins zur Krim und ging damit offenbar auf Distanz zu dessen Ukraine-Politik.
Russland wollte Besuch untersagen
Der Beauftragte der ukrainischen Regierung für religiöse und ethnische Angelegenheiten, Wolodimir Juschkewitsch, hatte sich Mitte Juni gegen eine mögliche Ukraine-Reise von Patriarch Kyrill I. ausgesprochen. Dies wäre "während der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine unerwünscht, provokant und politisch tendenziös" und könne eine "Welle interreligiöser Konflikte" auslösen. Die Ukraine werde einen solchen Besuch nach Recht und Gesetz untersagen. Kyrill I. hatte in den vergangenen Jahren jeden Juli in der ukrainischen Hauptstadt den Jahrestag der "Taufe der Kiewer Rus" gefeiert, dem gemeinsamen Vorläuferreich der Ukraine, Russlands und Weißrusslands.
Die Ukraine ist nicht das einzige Land, in dem der Moskauer Patriarch derzeit nicht willkommen ist. Der lettische Staatspräsident Andris Berzins hatte im Frühjahr Kyrill I. die Verschiebung eines für Mitte Mai geplanten Besuches vorgeschlagen. Zur Begründung nannte er die angespannte internationale Lage. Auch in dem baltischen Staat hatte die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland antirussische Ressentiments geweckt. Bis heute gibt es keinen neuen Termin für eine Lettland-Reise.
Von Oliver Hinz (KNA)