"Unsere Zielgruppe sind die Suchenden"
Abgedunkelt, der Boden mit Tatami-Matten ausgelegt, richtet sich der Blick eines jeden Besuchers sofort auf die Mitte der hinteren Wand: Dort spendet eine Art ovales Fenster fahles Licht. Eine große Kerze steht davor, auf dem Boden darum herum Sitzkissen und Fußbänke. Ein Mann kniet auf dem Boden, unbeweglich und tief in sich versunken.
Vor der schweren Tür hat sich inzwischen eine Menschenlange gebildet, denn im Raum der Stille wird Pater Bernd Knüfer gleich eine Werkstatt zum Thema "Interreligiöse Spiritualität – mit Andersglaubenden meditieren" abhalten; eine Veranstaltung zum Katholikentag. "So viele kommen hier selten her", meint Antje Lange. Sie sitzt hinter einem Tisch vor dem Eingang, auf dem Tisch liegen in bunten Stapeln Programmhefte und Flyer des Katholikentags. Immer wieder wird die Ehrenamtlerin nach Informationen zur Veranstaltung gefragt.
Großer Andrang für die Stille
Daneben versucht sie mit großer Gelassenheit, die wartenden Menschen davon abzuhalten, schon jetzt den Raum zu betreten: Noch sollen dort andere ihre Ruhe haben. "Ein bisschen schade ist der große Andrang schon, weil es dann vielleicht schwerer wird, die Stille zu genießen", meint sie. Andererseits freut sie sich, dass das Angebot auf so viel Interesse stößt: "Ich finde es schön, das zu unterstützen, wenn Leute die Stille suchen, um dort mit Gott zu sein."
Auch nebenan, im Raum der Kontaktstelle, ist viel los. Einige Besucher freuen sich über die Sitzgelegenheiten, um in ihrem Katholikentags-Programmheft zu blättern. Andere interessieren sich für die Broschüren der Kontaktstelle oder wollen von den Fairtrade-Produkten kaufen, die in einem Regal ausliegen. Abseits des Katholikentags ist das vor allem der Raum, in dem sich Interessierte über den christlichen Glauben informieren können.
Denn die wenigsten Leipziger gehören einer Religionsgemeinschaft an, nur etwa vier Prozent sind katholisch. "Man kann sicherlich nicht sagen, dass hier ein kirchenfeindliches Klima herrscht. Religion spielt einfach überwiegend keine Rolle", erklärt Hermann Kügler. Er ist Jesuit und Leiter der Kontaktstelle Orientierung. Die drei große Kirchen im Zentrum, die evangelische Thomas und die Nikolaikirche sowie die katholische Propsteikirche würden überwiegend aus einem distanziert freundlichen, allgemeinen Interesse wahrgenommen. "Hin und wieder flammen auch emotional aggressive Diskussionen auf über Religionen: Zum Beispiel kochte im Vorfeld des Katholikentags das Thema hoch, warum man so eine Veranstaltung mit einer Millionen Euro aus dem Stadtsäckel bezuschussen muss."
Die Suchenden als Zielgruppe
Doch seinen Arbeitsalltag in der Kontaktstelle, in der Kügler mit Interessierten auch Glaubenskurse durchführt, prägt die Indifferenz der Menschen; die Einstellung "mir fehlt nichts und ich suche nichts" sei weit verbreitet. "Aus der kirchlichen Perspektive kann das uns Christen nicht unberührt lassen", meint er. "Unsere Zielgruppe sind diejenigen, die mehr oder weniger vage etwas suchen, zum Beispiel Spiritualität, oder die feststellen, dass das Materielle doch nicht alles sein kann." Der Katholikentag sei für die Menschen, die das Angebot der Kontaktstelle wahrnähmen, aber auch kein großes Thema. "Sie sind demgegenüber eher wohlwollend neutral eingestellt." Ganz im Gegensatz zur öffentlichen Diskussion im Vorfeld, in der neben Interesse auch Ablehnung zu spüren gewesen sei. "Manche Leipziger haben sich vor allem im Internet darüber aufgeregt, dass sie in den nächsten Tagen mit Einschränkungen in ihrem Alltag rechnen müssen."
Ob der Katholikentag daran etwas ändern kann? "Beim Katholikentag werden sich Katholiken aus ganz Deutschland mischen. Das wird gerade für die Katholiken aus dem Osten ein Ereignis sein, bei dem sie sich selbst vergewissern können", meint der Jesuit. Er sei jedoch skeptisch, ob dieser Effekt sonderlich nachhaltig sein kann. "Beim evangelischen Kirchentag in Dresden vor vier Jahren gab es auch hohe Erwartungen, die sich nicht erfüllt haben." Dass die Katholiken sich auf diese Weise öffentlich darstellen und in der Stadt sichtbar werden, findet er "allerdings wertvoll – auch für einen Dialog mit der Gesellschaft". Er selbst freue sich in jedem Fall auf gute Gespräche mit interessanten Menschen.
Ein Blatt Papier klebt nun an der Glastür zum Raum der Stille. "Wegen Überfüllung geschlossen", steht darauf. Viele Nachzügler lesen es und verlassen dann den Hinterhof, einige mit traurigem Blick, andere im Programmheft blätternd. Antje Lange, die Ehrenamtlerin, bittet alle um Verständnis. Sie versucht zu trösten: "Heute Nachmittag, nach der Veranstaltung, ist der Raum wieder auf. Dann können Sie dort für sich die Stille suchen."