Ökumene-Experte Thönissen über die Liturgie des Versöhnungsgottesdienstes

"Vergebungsbitte ist das Zentrum"

Veröffentlicht am 11.03.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
"Vergebungsbitte ist das Zentrum"
Bild: © KNA
Ökumene

Paderborn ‐ Evangelische und katholische Kirche feierten am Samstag einen Buß- und Versöhnungsgottesdienst. Wolfgang Thönissen vom Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik erklärt den Leitfaden für die gemeinsame Liturgie.

  • Teilen:

Frage: Herr Thönissen, wie ist es zu der Liturgie beim ökumenischen Buß- und Versöhnungsgottesdienst gekommen?

Thönissen: Drei Jahre hat eine von der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzte Gruppe an dem Liturgieentwurf und dem gemeinsamen Text "Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen" gearbeitet. Hinter dem Leitwort "Healing of memories" oder "Erinnerung heilen" steckt eine Idee, die schon lange in der ökumenischen Bewegung diskutiert wird und nun auch im Jahr des Reformationsgedenkens umgesetzt wurde. Ihren Ursprung hat sie in dem Wunsch der Christen in Südafrika, die Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen zu heilen. Wenn man in Frieden miteinander leben will, muss man die schwierigen Punkte in der Vergangenheit aufgreifen, sie bearbeiten und die Gegensätze versöhnen.

Frage: Was passiert am Samstag in Hildesheim? Wie ist der Ablauf einer solchen gemeinsamen Liturgie?

Thönissen: Da der Ablauf sich an dem Leitwort "Erinnerung heilen" orientiert, ist der Mittelpunkt des Gottesdienstes eine Buß- und Vergebungszeremonie, die auch symbolisch dargestellt wird. Die Liturgie beginnt – nach der klassischen Eröffnung – mit einem Bußpsalm und wird dann zu einem Schuldbekenntnis und einer Vergebungsbitte geführt. Das ist die zentrale Mitte, auf die die Geste der Kreuzaufrichtung folgt. Dabei liegt am Boden der Kirche ein großes Kreuz, das eine Sperre und eine Trennung zwischen den beiden Konfessionen symbolisiert. Dieses wird aufgestellt, verliert dadurch die Blockadefunktion und erscheint als Versöhnungszeichen.

Es folgen das Glaubensbekenntnis und die Danksagung. Der Dank bezieht sich hier nicht auf die Kommunion – es handelt sich um einen Wortgottesdienst –, sondern  es wird für den wiedergewonnenen Weg der Versöhnung gedankt. Es geht darum, dass die Vergebung kein Verdienst der Menschen ist, sondern ein Geschenk Gottes. Dann kommen Fürbitten, die den Weg in die Zukunft richten sollen und am Ende steht eine Selbstverpflichtung: Im Geschenk der Vergebung ist die Zukunft vorbestimmt und im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes wollen sich evangelische und katholische Christen zu intensiveren ökumenischen Kontakten verpflichten.

Player wird geladen ...
Video: © katholisch.de

Das erste Drittel des Reformationsjahres ist vorbei. Man sei sich näher gekommen, bilanziert Ökumene-Bischof Gerhard Feige. Ein weiterer Schritt soll der Versöhnungsgottesdienst sein.

Frage: Wie unterscheidet sich dieser Wortgottesdienst von den ökumenischen Gottesdiensten, wie sie bisher gefeiert wurden?

Thönissen: Die Liturgie nimmt eine Struktur auf, nach der wir in Deutschland seit langem ökumenische Wortgottesdienste feiern: In der Mitte steht die Verkündigung, also Texte aus dem Alten Testament und vor allem natürlich die Evangelien und Briefe aus dem Neuen Testament. Das Ganze wird von gemeinsamen Gebeten und dem Schlusssegen begleitet. Bußgottesdienste gehören zu den bekannten liturgischen Formen in der Ökumene. In diese formale Struktur werden nun die Vergebung und das Schuldbekenntnis  im Zusammenhang des Reformationsgedenkens ins Zentrum eingebaut. Das ist das neue Element dieser Gottesdienstform. Vergleichbar war der Gottesdienst, den Papst Franziskus mit Vertretern des Lutherischen Weltbunds am 31. Oktober 2016 in Lund feierte. Er hatte im Grunde dieselbe Struktur, aber eine andere Reihenfolge.

Frage: Das ist der erste gemeinsam entwickelte Leitfaden für eine ökumenische Liturgie. Soll diese Feierform nun allgemein eingeführt werden oder denken Sie, dass es noch weitere ökumenische Formen braucht?

Thönissen: Insgesamt betrachtet existiert bereits seit langer Zeit eine Vielzahl an ökumenischen Gottesdienst- und Gebetsformen, etwa ökumenische Vespern, Psalmengottesdienste, die Liturgie beim Weltgebetstag oder bei der Gebetswoche für die Einheit der Christen. Jetzt haben wir einen neuen Liturgieentwurf mit Blick auf das Reformationsgedenken, der eine Bereicherung im Jahr 2017 ist. Denn diese Form der Buß- und Versöhnungsfeier wird abgesehen von Hildesheim bis zum Reformationstag am 31. Oktober in vielen Gemeinden deutschlandweit gefeiert.

Die ökumenische Bewegung und die ökumenische Zusammenarbeit sind in den letzten 50 Jahren stark gewachsen. Es hat zunächst mit dem gemeinsamen Beten und Lesen der Heiligen Schrift begonnen. Das ist etwas, was viele evangelische, katholische, freikirchliche und orthodoxe Gemeinden in Deutschland kennen. Es gibt zwar bereits viele Initiativen, die die liturgischen Formen aufgreifen, dennoch bedarf es immer wieder einer Vertiefung und einer Erweiterung. Dann können wir auf vielfältige Formen zurückgreifen.

Von Agathe Lukassek

Hintergrund: Kirchen feiern zentralen Versöhnungsgottesdienst

Unter dem Thema "Erinnerung heilen" sollen bei dem ökumenischen Buß- und Versöhnungsgottesdienst die Belastungen durch eine "gemeinsame schuldbehaftete Geschichte" angesprochen werden, heißt es in der gemeinsamen Ankündigung. Bereits vergangenen Herbst hatten die Kirchen dazu ein "Gemeinsames Wort" mit dem Titel "Erinnerung heilen - Jesus Christus bezeugen" veröffentlicht. Teilnehmen werden auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Der Gottesdienst findet in der Hildesheimer Kirche Sankt Michaelis statt, einer Simultankirche, die seit 1542 von beiden Konfessionen genutzt wird. Geleitet wird die Feier, die ab 17.00 Uhr live in der ARD und auf katholisch.de übertragen wird, von Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Weitere Mitwirkende sind Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). (luk/KNA)