Regensburger Bischof über das kirchliche Leben in Deutschland

Voderholzer: Kirchenaustritte sind uns nicht egal

Veröffentlicht am 20.09.2016 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 
Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer während eines Interviews in Regensburg am 21. Juli 2016.
Bild: © KNA
Glaube

Regensburg ‐ Wie steht es um das Glaubensleben in Deutschland? Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer sprach darüber mit katholisch.de. Seine Diagnose fällt eindeutig aus.

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Die Zahl der Priesterweihen sinkt, die der Gläubigen ebenfalls. Wie steht es also um den Glauben der Katholiken in deutschland und die Zukunft der Kirche? Der Regensburger Oberhirte Rudolf Voderholzer ist Mitglied der Glaubenskommission der Bischofskonferenz und der vatikanischen Glaubenskongregation. Mit ihm haben wir über das Thema gesprochen.

Frage: Herr Bischof Voderholzer, in seinen "Letzten Gespräche" spricht Papst Benedikt XVI. an einigen Stellen über die Kirche in Europa und Deutschland. Der emeritierte Papst warnt dort vor einer Entchristlichung. Gerade der deutschen Kirche fehle es an einer Dynamik des Glaubens. Teilen Sie diese Einschätzung?

Bischof Voderholzer: Ich teile die Einschätzung. Aber so neu ist sie ja nicht: Joseph Ratzinger hat das schon Ende der 1950er Jahre mit großer Klarsicht formuliert. Man musste eigentlich immer seine Ehrlichkeit bewundern, gerade in einer Zeit, in der viele sich noch in einer Volkskirche wähnten. Er hat ganz klar gesehen, wie viel nur Fassade ist und wie sehr man um die Substanz ringen muss. Seine Beobachtungen sind auch heute noch vollkommen richtig. Die Zahl der kirchlichen Mitarbeiter ist beinahe in dem Maß gestiegen, in dem die Zahl der Gläubigen abgenommen hat. Ohne jemandem gleich Schuld zuzuweisen, muss man sich das in aller Nüchternheit und Ehrlichkeit eingestehen. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Wir brauchen Evangelisierung! Wir Bischöfe würden unsere Hausaufgaben sträflich unverrichtet lassen, wenn wir nicht jetzt als allererste Aufgabe das Thema der Glaubensverkündigung – manche sprechen sogar von Neuevangelisierung – mit aller Energie und pastoralen Leidenschaft angehen würden.

Frage: Hätten Sie damit gerechnet, dass auch Franziskus Ihnen diesen Auftrag bei ihrem Ad-limina-Besuch Ende vergangenen Jahres so deutlich mit auf den Weg gibt?

Voderholzer: Der Text hat mich inhaltlich nicht überrascht, aber dass er dann auch tatsächlich bis auf unseren Schreibtisch gekommen ist, hat mich gefreut. Papst Franziskus erinnert uns leidenschaftlich an das Thema Evangelisierung, in dieser Hinsicht passt zwischen Benedikt und ihn kein Blatt Papier. Er teilt die kritischen Bedenken Benedikts zu einhundert Prozent. Auch, weil Franziskus aus einer Erfahrungswelt kommt, die einen kirchlichen Apparat wie unseren gar nicht kennt. So viele Vorteile er auch hat, er ist träge und bringt neue Probleme mit sich. Mir ist aber wichtig, gerade für meine Mitarbeiter zu sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass alle ihr Bestes geben.

Linktipp: "Getroffene Hunde bellen"

Dass die Beziehung zwischen den Deutschen und ihrem Papst keine leichte ist, zeigte auch die Präsentation von Peter Seewalds "Letzten Gesprächen" mit Benedikt XVI. Erzbischof Gänswein legte den Finger in die Wunde.

Frage: Evangelisierung ist also eine wichtige Aufgabe der Kirche in Deutschland. Aber braucht sie dazu nicht gerade ihre Strukturen? Oder geht das in erster Linie über charismatische Persönlichkeiten?

Voderholzer: Ich würde Strukturen nicht von vorne herein unter Verdacht stellen, nicht gut zu sein. Der Papst sagt ja selbst, dass etwa die Pfarreienstruktur nicht ersetzbar ist. Wir müssen vielmehr zweigleisig fahren: Zunächst geht es um eine Stärkung derjenigen, die da sind; und das sind nicht wenige. Ich erlebe im Bistum Regensburg an manchen Orten noch wirklich fast volkskirchliche Strukturen mit einem Gottesdienstbesuch von über 30 Prozent; und zwar nicht nur, wenn der Bischof kommt. Diese Leute müssen wir stärken, wir müssen ihnen helfen, ihren Glauben zu vertiefen. Dazu gehört etwa auch die Begleitung der Verbände.

Aber wir dürfen die anderen nicht aus dem Blick verlieren. Wo die Säkularisierung um sich greift, müssen wir mit personalem Einsatz, mit dem persönlichen Zeugnis, für den Glauben einstehen. Da werden uns die Strukturen nur bedingt hilfreich sein. Wir brauchen brennende Menschen, vom Glauben erfüllte Zeugen. Wir brauchen Familien, die zeigen, wie man christlich lebt. Wir brauchen auch Heilige. Ohne die wird es nicht gehen und ist es noch nie gegangen in der Kirchengeschichte.

Frage: Was können Sie dazu als Bischof beitragen?

Voderholzer: Ich bin mit den Bischöfen der Nachbardiözesen in einem sehr intensiven Suchprozess: Wo wächst Kirche? Dafür gibt es gute Beispiele, von denen wir auch lernen wollen. Wir müssen diese Entwicklungen natürlich auch unterstützen, so gut wir können. Aber das Entscheidende geschieht immer irgendwo unverfügbar durch den Geist, dem man auch im Wege stehen kann durch falsche Entscheidungen und Strukturen. Wir müssen uns aber auch selber überprüfen und uns immer wieder an unsere eigenen Zielsetzungen erinnern und diese auch zeigen. Uns wird immer wieder spöttisch vorgehalten, solange die Kirchensteuereinnahmen steigen, wären uns die Kirchenaustritte egal. Nein, das ist uns nicht egal! Aber das müssen wir eben auch klarstellen und uns nicht im Schönreden gegenseitig überbieten.

Frage: Sie sagen, für die Verkündigung spielen etwa die Familien und die Verbände eine wichtige Rolle. Brauchen wir neue und verantwortungsvollere Aufgaben für die Laien in der Kirche?

Voderholzer: Ich habe den Begriff "Laie" nicht so gern. Er ist diskriminierend und unangemessen. Deshalb spreche ich von Weltchristen, also von Frauen und Männern, die durch ihre Taufe und Firmung befähigt und berufen sind, in der Welt ihre Frau und ihren Mann zu stehen. Dazu sind traditionellerweise die Verbände da. Auch da ist viel zu tun. Wir müssen sie beispielsweise fördern, politisch zu wirken. Wir können doch gar nicht genug gute Politikerinnen und Politiker haben, die aus dem Geist des Evangeliums heraus die Ochsentour antreten und dann eine gute Politik machen! Ich hab es deshalb sehr bedauert, dass die politischen Veranstaltungen beim Katholikentag in Leipzig nicht so gut besucht waren.

Und ich hielte es für fatal, wenn man das dornige Geschäft, sich in die Politik einzumischen, sein ließe um sich umso stärker in die Kirchenpolitik einzumischen. Das nenne ich die "Selbstverklumpung" des Salzes der Kirche und das brauchen wir überhaupt nicht. Ich verspreche mir vor allem nichts davon, wenn dann auch noch Rezepte von vorgestern vorgestellt werden, die ja nachweislich in anderen kirchlichen Gemeinschaften überhaupt nicht das gebracht haben, was man sich davon verspricht.

Im Jahr 2015 hatte die Zahl der Priesterweihen in Deutschland einen historischen Tiefstand erreicht.
Bild: ©Bistum Regensburg

Im Jahr 2015 hatte die Zahl der Priesterweihen in Deutschland einen historischen Tiefstand erreicht. Dennoch sollten ihren spezifischen Aufgaben nun nicht einfach auf Laien umgeschichtet werden, sagt Bischof Rudolf Voderholzer: Jeder Stand hat seine eigene Berufung.

Frage: Sie sprechen damit auf die immer wieder aufkommenden Forderungen nach der Abschaffung des Zölibats oder der Weihe von Frauen an?

Voderholzer: Diese Forderungen überzeugen mich überhaupt nicht. Wenn man solche Schritte als Lösungen für Probleme der Kirche präsentiert, kann ich nur sagen: Das ist völlig weltfremd und verkennt die eigentlichen Fragen. Wo sollen denn die Priester herkommen, wenn die Zahl der Gläubigen, der Familien, der Kinder sinkt? Ich will die Probleme nicht kleinreden oder gar ignorieren. Aber so zu tun, als könne man mit einem administrativen Akt das grundsätzliche Problem lösen, ist falsch. Das wäre eine ungeistliche Lösung, die auch vor der Forderung des Evangeliums, sich kritisch gegenüber Mainstream und Gesellschaft zu verhalten, nicht bestehen kann. Wir brauchen eine andere Dynamik.

„Warum muss immer erst die Not beten lehren und warum lehrt nicht der Wohlstand danken?“

—  Zitat: Bischof Rudolf Voderholzer

Frage: In Deutschland ist die Beichte fast verschwunden, beklagte Papst Franziskus in seiner Ad-limina-Botschaft. Bei anderen Sakramenten lässt sich ein ähnlicher Rückgang beobachten. In den vergangenen Monaten wurde als mögliche Ursache diskutiert, dass die Kirche einfach nicht die richtige Sprache findet und die Menschen sie nicht verstehen. Wie sehen Sie das?

Voderholzer: Das mag teilweise richtig sein. Aber auch Jesus ist, an irdischen Erfolgskategorien gemessen, mit seinem Aufruf zur Umkehr nicht gut angekommen. Ich bin fest davon überzeugt: Wir haben die beste Botschaft, die es gibt. Aber sie ist nicht so oberflächlich und leicht zu vermitteln, wie man andere Dinge mal schnell unters Volk bringt. Sie setzt eine tiefe Ernsthaftigkeit voraus. Man muss sich den letzten Fragen stellen können. Derzeit leben wir in einer Kommunikationswelt, in der das schwer ist. Es geht alles wahnsinnig schnell, gleichzeitig ist es alles sehr oberflächlich. Wir klicken und simsen und appen uns beinahe zu Tode. Aber was kommt denn dabei raus? Die Frage ist: Wie kommen wir wieder auf eine Ebene, auf der die religiöse Botschaft überhaupt noch wahrgenommen werden kann?

Wenn Katastrophen geschehen, wenn der Tod ins Leben einbricht, dann ist die Kirche interessanterweise sofort gefragt. Dann brauchen die Menschen uns. Ich sage das nicht kritisch. Aber mir geht die Frage durch den Kopf: Warum muss immer erst die Not beten lehren und warum lehrt nicht der Wohlstand danken? Wir müssen versuchen, die besondere Signatur dieser Zeit zu erfassen und überlegen, wie wir die frohe Botschaft darin gut vermitteln. Dazu brauchen wir viel Phantasie.

Frage: Muss die Kirche einen Kontrast zur Gesellschaft darstellen, um evangelisierend zu wirken?

Voderholzer: Sie muss den Mut dazu haben, ja. Aber sie muss auch nicht alles ablehnen. Die Kirche war nie ein Club von Aussteigern. Das kann man schon sehr schön im frühchristlichen Diognetbrief nachlesen. Da heißt es, die Christen unterscheiden sich äußerlich eigentlich nicht von den anderen. Aber manche Dinge tun sie nicht: Sie setzen ihre Kinder nicht aus, sie treiben nicht ab. Dafür gelten in ihrer Ehe Treue und Verlässlichkeit. Und dort heißt es auch: So wie die Seele im Leib, so sind die Christen in der Gesellschaft. Ein Riesenanspruch!

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Video: © katholisch.de

Der Strategieberater Erik Flügge weiß, wie man Kompliziertes ganz einfach ausdrückt. Er weiß aber auch: Die Kirche kann es einfach nicht. Ein Gespräch über den "Jargon der Betroffenheit".

Frage: Das heißt also, die Kirche muss ganz tief rein in die Gesellschaft, sich ihr auch anpassen?

Voderholzer: Angepasst in dem Sinn, dass sie sich in Äußerlichkeiten nicht unterscheidet. Aber die Kirche darf nicht vergessen, den Herrn anzubeten. Sie muss sich von Christus gerufen wissen, mit ihm die Welt zu verwandeln. Sie ist eben in der Welt, aber nicht von der Welt. Natürlich gibt es auch Berufungen zum "Aussteigen". Die kontemplativen Orden beispielsweise haben eine ganz spezifische Sendung zur Anbetung und zum stellvertretenden Gebet. Das hat es auch schon immer gegeben und es ist wichtig für die Kirche.

Frage: Was müssen Hirten heute leisten, um diejenigen, die noch da sind, so zu stärken, dass sie selbst evangelisierend wirken können?

Voderholzer: Die Gläubigen müssen fähig werden, den Glauben zu artikulieren, zu begründen und gegenüber den vielen Anfechtungen auch verteidigen zu können. Ich glaube, wir brauchen auch hin und wieder eine gute neue Apologetik.

Frage: An welche Anfechtungen denken Sie da?

Voderholzer: Zum Beispiel die klassischen Fragen nach den Kreuzzügen oder der Inquisition. Das wird einem ständig serviert und viele Leute kapitulieren da einfach. Es hat sich so entwickelt, dass man Kirche in der Öffentlichkeit in der Regel nur mit allen möglichen kritischen Anwürfen präsentiert bekommt. Das macht auch viele unserer guten Leute mürbe. Wir müssen ihnen helfen, damit umzugehen. Nicht alle dieser Vorwürfe sind ja völlig aus der Luft gegriffen, in der Regel sind sie aber völlig überzogen. Denken wir an das Verhältnis der Kirche zu den Naturwissenschaften. Da ist viel Unsinn unterwegs und man könnte leicht zeigen, wie man in bester intellektueller Redlichkeit den christlichen Glauben vertreten kann. Dazu bedarf es viel guter Katechese und Verkündigung.

Von Kilian Martin