"Vom Wunsch nach Kontrolle verabschieden"
In Deutschland gehen katholische Kinder im 3. Schuljahr zur Erstkommunion und zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr zur Firmung. Jens Ehebrecht-Zumsande ist Referent für Katechese im Erzbistum Hamburg und hält diese Praxis für nicht mehr zeitgemäß. Deshalb hat er ein Buch geschrieben, das Alternativen aufzeigen soll. Der Titel: "Generationenverbindende Kommunion-Katechese". Katholisch.de hat mit ihm über sein Buch und seine Ideen gesprochen.
Frage: Herr Ehebrecht-Zumsande, mit ihrem Buch wollen Sie zu einer "kritischen Sicht auf die bewährte Praxis" der Erstkommunionkatechese anregen. Warum ist das nötig?
Ehebrecht-Zumsande: Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Es ist ein kritischer Blick auf das ganze katechetische Format notwendig, das sich in den letzten 30 bis 50 Jahren bei uns eingebürgert hat. In der Praxis geht man häufig noch von einer klassischen Jahrgangskatechese bei Kindern und Jugendlichen aus. Dabei ist etwa der bisherige Bezugspunkt zum 3. Schuljahr für die Erstkommunion vollkommen willkürlich gesetzt und stammt aus Zeiten der Volkskirche. Diese Form der Katechese unterstellt, dass es ein richtiges Alter gibt, ab dem Kinder so weit sind, zur eucharistischen Gemeinschaft zu gehören. Das widerspricht unserem traditionellen Sakramentenverständnis, das von der Besiegelung einer ganz bestimmten Lebenssituation ausgeht. Generell sollten wir uns nicht auf die Katechese bei jungen Menschen fokussieren. Der Appell sowohl der deutschen Bischöfe als auch des Vatikans lautet seit Jahren, dass die primäre Zielgruppe von Katechese die Erwachsenen sind.
Frage: Warum hält man trotz der Appelle für eine verstärkte Erwachsenenkatechese am bisherigen System fest?
Ehebrecht-Zumsande: Weil wir gut katholisch sind. Man bekommt auf Gemeindeebene zwar Zustimmung, dass das bisherige System überholt sei. Danach kommt jedoch das berühmte "Ja, aber", das häufig mit der Gewohnheit argumentiert.
Frage: Was wollen Sie konkret ändern?
Ehebrecht-Zumsande: Mein Vorschlag: eine generationenverbindende Katechese. Der Ansatz ist, dass religiöses Lernen und religiöse Bildung nie abgeschlossen, sondern ein lebenslanger Prozess sind. Wir müssen Formen der Katechese entwickeln, die entlang der einzelnen Biographien Möglichkeiten bieten, den eigenen Glauben zu hinterfragen und zu vertiefen. Gerade bei der Eucharistie ist offensichtlich, dass ich als neunjähriges Kind die Mahlgemeinschaft ganz anders als ein 30-, 50- oder 80-Jähriger erfahre. Aber wo sind in unseren Gemeinden die Orte, an denen ich als erwachsener Mensch über mein Eucharistieverständnis nachdenken kann?
Frage: Schaffen wir das starre System der Jahrgangskatechese bei Kindern und Jugendlichen also einfach ab?
Ehebrecht-Zumsande: Das kann man wohl nicht von heute auf morgen. Aber wir müssen ernst nehmen, was wir in der Praxis bereits erleben. Nämlich, dass wir eine immer "unordentlichere" Katechese haben. Das System der Jahrgangskatechese franst bereits von alleine an allen Ecken und Enden aus. Aktuell bin ich ehrenamtlich in der Firmkatechese tätig. Da haben wir in einer Gruppe Jugendliche von 15 bis 20 Jahren. Meine These ist, dass das in den nächsten Jahren noch zunehmen wird, weil Biographien nicht mehr so ideal-katholisch sind, wie wir das gerne hätten. Wir können von den Menschen nicht verlangen, dass sie sich an unser Katechesesystem anpassen. Also müssen wir uns umstellen.
Frage: Ist es nicht das Gemeinschaftsgefühl oder – negativ formuliert – der soziale Druck, der Kinder in großen Teilen überhaupt noch in den Unterricht für die Erstkommunion oder Firmung treibt? Haben Sie keine Angst vor einem kompletten Einbruch der Zahlen?
Ehebrecht-Zumsande: Natürlich würden die Zahlen einbrechen. Darüber hinaus würde aber noch mehr geschehen: Wenn wir die Jahrgangskatechese aufgeben, bedeutet das in gewisser Weise einen Kontrollverlust über die Kinder und ihre Familien. Aber wir müssen uns von diesem Wunsch nach Kontrolle verabschieden. Wenn wir dabei bleiben, gaukeln wir uns lediglich etwas vor. Wir sollten eine größere Nähe zu den Menschen und ihrem Leben entwickeln. Vertrauen wir auf den Heiligen Geist und darauf, dass unsere Sakramente in sich so viel Kraft haben und Menschen auch immer danach fragen werden.
Unser Glaube: Erstkommunion
Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein und wie läuft das mit der Kommunionvorbereitung? Katholisch.de beantwortet häufige Fragen rund um die Erstkommunion.Frage: Wie würde Ihr Vorschlag für eine Katechese in der Gemeinde konkret umgesetzt?
Ehebrecht-Zumsande: Die Idealvorstellung der generationsverbindenden Katechese ist die, dass die Gemeinde über das ganze Jahr verteilt regelmäßig katechetische Angebote zu verschiedenen Glaubensthemen – zum Beispiel zur Eucharistie – macht. Und zwar für jedes Alter. So tritt man mit den Menschen in Beziehung und lädt sie ein, die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft auszuprobieren. Meine These ist, dass der Wunsch nach einem Sakrament automatisch erwächst, wenn erst einmal das Zugehörigkeitsgefühl da ist. Bisher ist es bei der Eucharistie und Firmung genau andersherum. Wir konstruieren über die Sakramentenkatechese zunächst eine künstliche Zugehörigkeit und hoffen dann, dass daraus eine Gemeinschaft erwächst. Stellen Sie sich das mal bei dem Ehesakrament vor. Auch da schreiben wir ja nicht alle Katholiken eines bestimmten Geburtsjahrgangs an, um sie darauf hinzuweisen, dass es nun eigentlich Zeit zum Heiraten ist und wir deshalb einen entsprechenden Kurs vorgesehen haben.
Frage: Und Sie glauben, dass so eine punktuelle Katechese funktioniert?
Ehebrecht-Zumsande: Eine Evaluationsstudie zur Erstkommunionkatechese von 2014 hat gezeigt, dass nicht die Länge des Kurses entscheidend für dessen Nachhaltigkeit ist, sondern die Beziehung der Teilnehmer zu den Katecheten. Es ist nicht entscheidend, ob man sich in einem Zeitraum von drei oder acht Monaten trifft. Es müssen stattdessen Themen und Lernerfahrungen sein, die mit der Biographie der Teilnehmer kompatibel sind. Dafür brauchen wir Lernformen, die nicht wie Unterricht organisiert sind. In meiner Vision von Katechese steht der Aspekt der Begegnung und Beziehung im Mittelpunkt.
Frage: Und worin genau besteht nun das generationsübergreifende Element?
Ehebrecht-Zumsande: Die Formate, mit denen wir in der Praxis momentan experimentieren, haben alle einen ähnlichen Aufbau. Sie starten mit einem gemeinsamen Einstieg aller Altersgruppen in ein Thema. Dann folgt eine Phase in Workshops und Gesprächsgruppen, die dann auch altersdifferenziert für Kinder, Jugendliche und Erwachsene stattfinden. Anschließend mischen sich die Gruppen, so dass sich etwa ein Großvater, eine Mutter und ein Kind gegenseitig über die Ergebnisse ihrer Workshops berichten. Hinzu kommen Elemente wie ein gemeinsamer Brunch und ein gemeinsamer Gottesdienst. Das bisherige Feedback ist durchaus positiv.
Frage: Wenn man Ihre These weiterdenkt, dann wird es künftig einen steigenden Anteil derer geben, die nicht auf die Eucharistie vorbereitet sind. Müssen Gemeinden dann noch stärker auf alternative Gottesdienstformen setzen?
Ehebrecht-Zumsande: Dafür würde ich auch dann plädieren, wenn Gemeinden bei der klassischen Erstkommunionkatechese bleiben. Wir betonen ja immer, dass die Eucharistie Quelle und Höhepunkt ist. Wenn ich das ernst nehme, kann ich nicht dauernd einen Höhepunkt feiern. Wir müssen den Menschen, die wenig Erfahrung mit der Kirche haben, verstärkt niederschwellige, liturgische Zugangsformen anbieten. Mit einer Eucharistiefeier sind sie häufig überfordert. Wir brauchen in der Liturgie und in der Katechese eine neue Sprache, eine neue Ästhetik und neue Orte für neue Zielgruppen.
Frage: Was machen wir mit der Sonntagspflicht, die im Katechismus steht und mit der die Eucharistiefeier gemeint ist?
Ehebrecht-Zumsande: Die Sonntagspflicht ist für Menschen, die in den Glauben hineinschnuppern wollen, doch kein Argument mehr. Wir brauchen Formate, die gerade Fernstehenden auch eine sehr punktuelle, projektbezogene oder fließende Form von Zugehörigkeit ermöglichen. Der Versuch, über die Sakramente irgendeine Form von Vollzugehörigkeit zu erreichen, kann nur scheitern. Wir, die beispielsweise stark im Inneren einer Gemeinde verwurzelt sind, müssen erst einmal lernen, das nicht zu bewerten und als falsch zu bezeichnen.
Frage: Nun sitzen Sie als Referent für Katechese im Generalvikariat des Erzbistums Hamburg und könnten Ihre Ideen auch als Anweisung "von oben" diktieren. Wird das passieren?
Ehebrecht-Zumsande: Da habe ich ganz ambivalente Gefühle. Manchmal wäre es leichter, entsprechende Verordnungen einfach herauszugeben und damit Fakten zu schaffen. Gleichzeitig möchte ich das aber nicht, weil das nicht die Art und Weise ist, wie wir hier im Erzbistum Hamburg arbeiten. Die Kollegen und Ehrenamtlichen in den Pfarreien sind verantwortlich für die Pastoral vor Ort. Im Zuge der Bildung unserer pastoralen Räume werden allerdings Stellenprofile für die pastoralen Mitarbeiter entwickelt, die sich an dem orientieren, was ich gerade skizziert habe. Kurz zusammengefasst bedeutet das: Eine Katechese in einer evangeliumsgemäßen Haltung, mit biographiebegleitender Perspektiven, differenzierten Wegen, einer mystagogischen Ausrichtung sowie mit generationsverbindenden Elementen. So wollen wir die Katechese in den Gemeinden entwickeln. Wie das genau umgesetzt wird, bleibt den Kollegen vor Ort überlassen.