Schwester Johanna über höfliche Umgangsformen im Kloster

Warum sich Benediktinerinnen siezen

Veröffentlicht am 13.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Warum sich Benediktinerinnen siezen
Bild: © KNA
Kloster

Bonn ‐ Schwester Johanna Boenisch lebt seit über 32 Jahren im Kloster. Ihre Mitschwestern spricht sie trotzdem noch immer mit einem höflichen "Sie" an. Warum das so ist, hat sie katholisch.de erzählt.

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Frage: Schwester Johanna Boenisch, Sie sind mit Ihren Mitschwestern per Sie?

Boenisch: Ja, diese Höflichkeitsform ist bei uns im Kloster üblich. Das "Sie" in der Anrede ist wie ein Schutzmantel für uns, denn wir sind eine kleine Gemeinschaft in einem kleinen Kloster in der Eifel. Es ist eine Gemeinschaft, die zufällig zusammengekommen ist und nicht auf Freundschaft beruht. Was aber nicht heißt, dass Freundschaften entstehen können im Kloster. Ich finde es trotzdem gut und richtig, dass wir Schwestern einander siezen. Bei uns ist alles sehr eng und wir leben dicht beieinander. Wir wohnen Zimmer an Zimmer, da brauchen wir diese höfliche Distanz zueinander. Wenn es zum Beispiel zu Auseinandersetzungen oder Problemen kommt, dann habe ich nicht die Möglichkeit irgendwo hin zu laufen oder den anderen auszuweichen. Daher stört mich diese Sie-Anrede auch nicht. Im Gegenteil, bei manchen Mitschwestern bin ich sogar froh darüber, dass wir uns siezen.

Frage: Jetzt bin ich neugierig...

Boenisch: Mir würde es bei einigen Schwestern sehr schwer fallen, Du zu sagen. Zum Beispiel meine älteste Mitschwester ist 89 Jahre alt, genauso so alt wie meine Mutter. Ich finde, da passt es einfach nicht, dass ich sie duze. Oder unsere Äbtissin. Sie ist für mich eine Vorgesetzte, die ich mit Respekt behandeln will. Daher würde es mir schwerfallen, diesen Abstand aufzugeben. Ich kenne das auch aus eigener Erfahrung. Vor meinem Eintritt ins Kloster habe ich als Lehrerin an einer Schule unterrichtet. Mit allen  Schülerinnen war ich per Sie, obwohl sie nur wenig jünger waren als ich. Ich fand es, dass ich als Autoriätsperson gesiezt wurde. Ich finde die höfliche Anredeform "Sie, Schwester Johanna" im klösterlichen Miteinander sehr wichtig. In der Regel des heiligen Benedikt steht geschrieben, dass wir Schwestern einander in Ehrfurcht und Achtung begegnen sollen. Ich finde, dass "Sie" hilft dabei.

Frage: Sind Sie mit keiner Schwester per Du?

Boenisch: Doch. Mit drei Schwestern bin ich ausnahmsweise per Du, aber nur wenn wir uns privat treffen. Bei offiziellen Anlässen reden wir uns dann wieder per Sie an. Da ist so in Ordnung für uns, denn wir möchten damit kein Ärgernis bei den anderen Schwestern erregen. In einer geistlichen Gemeinschaft soll keiner ausgeschlossen werden oder sich bloßgestellt fühlen. Aber diese drei Schwestern liegen mir sehr am Herzen, denn wir kannten uns schon vor meinem Eintritt ins Kloster. Daher wollte ich diesen vertrauten Umgangston nach meinem Eintritt nicht mehr zurücknehmen.

Bild: ©katholisch.de

Die Benediktinerin Johanna Boenisch (66) lebt seit 32 Jahren im Eifelkloster Maria Heimsuchung. In ihrer Werkstatt stellt sie Weihrauch her und sammelt Ikonen.

Frage: Warum haben Sie sich entschieden, ins Kloster zu gehen?

Boenisch: Ich hatte einmal eine Begegnung mit Frère Roger Schutz, dem Gründer der Taizé-Gemeinschaft. Damals war ich 27 Jahre alt und überlegte, ob ich ins Kloster gehen soll. Ich wusste nicht, wie ich mich entscheiden sollte. Mit diesen Zweifeln bin ich dann zu ihm hingegangen und habe ihn gefragt, was ich machen soll. Seine Antwort war eindeutig: "Wenn Gott ruft, will er alles von dir oder gar nichts". Jetzt bin ich über 32 Jahre hier im Benediktinerinnenkloster in Kall. Natürlich gab es immer wieder Momente, in denen ich gezweifelt habe, aber die Entscheidung einzutreten war richtig.

Frage: Warum hatten Sie Zweifel?

Boenisch: Wir sind 14 Schwestern und nur fünf davon sind unter 70. Das ist kein gutes Verhältnis. Außerdem hat schon seit 25 Jahren keine Schwester mehr bei uns die ewige Profess abgelegt. Die jungen Schwestern fehlen uns einfach. Wir haben zwar immer wieder junge Frauen gehabt, die für ein paar Jahre hier im Kloster waren. Leider sind sie dann alle wieder gegangen. Dass die meisten nicht durchhalten, ist sehr schade und schmerzt uns sehr.

Frage: Woran liegt das, denken Sie?

Boenisch: Ich denke, dass das ein demografisches Problem der Kirche insgesamt ist. Früher waren auch die Familien größer, es gab bis zu neun Kinder in einem Haushalt. Heute ist das schon lange nicht mehr so. Damals war es auch selbstverständlich, dass ein Sohn Priester wurde und ein oder zwei Kinder ins Kloster gingen. Die Menschen und ihr Leben waren früher viel religiöser geprägt als es heute üblich ist. Wir hatten neulich eine Gruppe von Firmlingen da. Keiner von denen konnte das Vaterunsergebet auswendig aufsagen. So etwas macht mich sehr traurig. Und dann kommt noch die Bindungsunfähigkeit der jungen Leute hinzu. Wer will sich heute noch auf Lebenszeit an eine konkrete Gemeinschaft oder einen bestimmten Ort binden? Man kann im Kloster kaum Karriere machen und muss sich seinem Oberen unterordnen. Das ist für manche bestimmt nicht einfach, das zu akzeptieren.

Bild: ©KNA

Nonnen beim Chorgebet.

Frage: Das heißt, ihr Kloster stirbt langsam?

Boenisch: So würde ich es nicht sagen. Es ist eher ein langsames Älter- und Weniger-Werden hier bei uns Benediktinerinnen in Kall. Aber das ist auch gut so, denn so muss sich jede Schwester auf das konzentrieren, was wirklich im Klosterleben zählt. Und das ist das, was der heilige Benedikt uns als Regel aufgetragen hat: "Bete und arbeite und lebe das Evangelium!" Ich denke dabei an unsere alten Schwestern, die nur noch beten. Abr das ist das Entscheidende. Sie haben ihr Leben lang ihre ganze Arbeitskraft für die Mitschwestern und das Gästehaus eingesetzt und sind jetzt erschöpft. Ich glaube, dass das Beten genügt, damit ein Kloster überleben kann. Die karitativen Aufgaben der Klöster können andere übernehmen, aber wer soll für die Menschen dann beten? Wir beten fünf Mal am Tag das Stundengebet in lateinischer und auch in deutscher Sprache. Wir tun das stellvertretend für alle, die nicht mehr beten können oder wollen. Wir schließen in unsere Gebete auch alle Sorgen und Nöte ein, die uns von den Menschen anvertraut werden. Und wenn wir das weiterhin in Treue tun, glaube ich wirklich, dass die kontemplativen Klöster eine echte Chance haben, zu überleben.

Frage: Warum sind Sie im Kloster geblieben...

Boenisch: ...und nicht gegangen? Die tägliche Feier der Liturgie stärkt mich unglaublich und das gute Miteinander hier im Kloster. Ich bin Krankenschwester und neben den Pflegedienstkräften für die älteren Schwestern hier zuständig. Ich pflege sie und begleite sie auf ihrem letzten Lebensweg bis ans Tor des Himmels. Den letzten Schritt müssen sie alleine gehen. Aber Sie ahnen gar nicht, was man dabei alles erfährt.

Frage: Was meinen Sie damit?

Boenisch: Ich habe zum Beispiel eine Schwester über vier Jahre lang gepflegt. Sie konnte die letzten drei Jahre ihrens Lebens nicht mehr aufstehen und sie sprach schon lange kein Wort mehr. Ich habe sie täglich mehrfach besucht, denn ich wusste nicht, wann ihre letzte Stunde kommen wird, weil sie eigentlich schon vier Jahre im Sterben lag. Und dann war es soweit: Sie schlug noch einmal ihre Augen auf, strahlte mich an und sagte: "Schön." Und das war es. Später habe ich mir gedacht, wenn dieses Wort am Ende eines langen Lebens steht, dann lohnt es sich, hier im Kloster zu leben und zu sterben. Und genauso ist es für mich.

Von Madeleine Spendier