Was ist wirklich fair?
"Am Aufdruck auf der Rückseite“", ist sich Ingrid Nell sicher - dreht und wendet den "Praline Noisette"-Schokoriegel der Marke GEPA. Doch das markante, grün-blaue "Fairtrade"-Siegel auf schwarzem Hintergrund des Vereins TransFair sucht sie vergeblich. Stattdessen finden sich das grüne "Naturland Fair"-Zeichen und ein hellbraunes "fair+"-Label auf der Schokolade. "Das ist verwirrend", meint die Kundin. Denn in Deutschland tragen neun von zehn fair gehandelten Produkten das "Fairtrade"-Siegel, es ist folglich das bekannteste (siehe Kasten).
Wie Ingrid Nell geht es vielen Menschen, die in Weltläden oder Supermärkten fair gehandelte Produkte kaufen wollen und darauf seit einigen Monaten das "Fairtrade"-Siegel vermissen. Der Grund: Die GEPA, Europas größtes Fair-Handels-Unternehmen mit einem Jahresumsatz von gut 60 Millionen Euro, hat einen Strategiewechsel vollzogen. Das Unternehmen, das 1975 gegründet wurde und mehreren kirchlichen Gesellschaftern gehört, verzichtet seit dem vergangenen Jahr auf das "Fairtrade"-Siegel und druckt stattdessen sein eigenes "fair+"-Logo auf die Waren. "Wir wollen damit klarmachen, dass wir die bekannten Standards des Fairen Handels übertreffen", erklärt GEPA-Geschäftsführer Robin Roth. "Fair+" sei ein Versprechen an die Kunden: "Egal was wir einkaufen – wir werden unser Maximum tun, das fair zu machen."
"Den Fair-Gedanken ausweiten"
Dabei hat die GEPA vor allem Mischprodukte wie Schokolade im Blick. Sobald 20 Prozent der Zutaten einer Tafel - etwa Zucker, Kakao oder Vanille - fair gehandelt sind, kann der Hersteller das Fairtrade-Siegel aufdrucken. Die GEPA aber will den Anteil in ihren Artikeln auf 40 bis 100 Prozent erhöhen. So verwendet sie in verschiedenen Schokoriegeln faire Bio-Alpenmilch, zertifiziert vom Öko-Anbauverband Naturland . "Wir weiten den Fair-Gedanken auf die heimischen Landwirte aus", sagt GEPA-Mann Roth. Deren Existenz sei durch den Preisverfall von Lebensmitteln ebenso bedroht wie die der Kleinbauern auf der Südhalbkugel.
Zudem achtet die GEPA auf ökologischen Anbau, umweltverträgliche Verpackungen und gleicht ihren CO2-Ausstoß aus, indem sie ein Baumpflanzprojekt auf den Philippinen unterstützt. Der Verzicht auf das "Fairtrade"-Siegel soll die Marke GEPA stärken, indem sie sich bewusst von anderen Anbietern absetzt. Allerdings, betont die Firma, seien die Produkte, die bisher das Siegel trugen, auch weiterhin von der Organisation Fairtrade International (FLO) zertifiziert.
Kritik von Eine-Welt-Initiativen
Eine-Welt-Initiativen, die oft in Kirchengemeinden entstanden sind, kritisieren den Strategiewechsel der GEPA. "Es gibt immer mehr Siegel, Label und Marken", sagt Alexander Fonari vom Eine-Welt-Netzwerk Bayern. "Das erschwert unsere Bildungsarbeit in Schulen und Vereinen." Man bedaure den Schritt der GEPA, denn dabei drohe das Gesamtziel des fairen Handels aus dem Blick zu geraten. Ähnliches berichten Betreiber der Weltläden, von denen es in Deutschland rund 800 gibt. Ihr Anteil am Gesamtumsatz des fairen Handels liegt aber lediglich bei sieben Prozent. Rund zwei Drittel der Produkte werden in Supermärkten verkauft, 15 Prozent über Großverbraucher wie Kantinen, Hotels oder Cafés.
Auch GEPA-Mitgesellschafter Misereor tat sich anfangs schwer mit der Entscheidung, erklärt Thomas Antkowiak, Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks: "Wir waren nicht Feuer und Flamme, das gebe ich zu." Allerdings könne er nachvollziehen, dass sich die GEPA von Mitbewerbern absetzen wolle. Denn der Markt fair gehandelter Waren in Deutschland wächst rasant: Lag der Umsatz im Jahr 2004 noch bei 99 Millionen Euro, so hat er sich 2012 auf 600 Millionen Euro versechsfacht.
Viele Wettbewerber im Markt
In diesem Umfeld drängen neue Wettbewerber auf den Markt und versuchen, ihr Image mit einzelnen Produkten aufzupolieren. "Es gibt Anbieter, die suggerieren, dass sie im fairen Handel engagiert sind, ohne es wirklich zu sein", sagt Thomas Antkowiak. "Sie nutzen das ein Stück weit als Trittbrettfahrer."
Auch wenn die GEPA mit ihrer neuen Strategie hehre Ziele verfolgen mag, den Verbrauchern erleichtert sie nicht gerade das Einkaufen. Ingrid Nell, die Kundin aus dem Münchner Fair Trade Shop, hat einen Wunsch: "Ich würde es begrüßen, wenn man ein bekanntes Label hätte, an dem man sich orientieren kann."
Von Burkhard Schäfers