Weihnachten im Wartesaal

Veröffentlicht am 22.12.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Weihnachten

Köln ‐ Die Platte vor dem Kölner Dom ist Nunu Nevis Zuhause. Der schlaksige Mann mit dem pockennarbigen Gesicht verbringt hier jeden Tag, nachts schläft er in U-Bahn-Stationen. Doch an Weihnachten möchte er nicht auf der Straße sein. "Das ist immer so eine traurige Zeit", sagt Nevis, denn der Portugiese hat das Fest früher immer mit seiner Familie gefeiert.

  • Teilen:

Heiligabend sucht Nevis deshalb Trost in einer Notunterkunft. "Die Sozialarbeiter sind immer ganz arg nett und lieb und machen Tischdekoration für uns. Damit man nicht alleine ist", erzählt er, während er auf einer Zeitung vor dem Hauptportal des Doms kauert. In der Advents- und Weihnachtszeit organisieren Caritas, Diakonie und andere Sozialdienste Feste für hunderte oder sogar mehrere tausend Gäste, denen es ähnlich geht wie Nunu Nevis.

Gegenüber von Nevis Stammplatz, im Alten Wartesaal am Hauptbahnhof, steigt Kölns größte Weihnachtsfeier für Bedürftige: Die Mitternachtsmission. Das Engagement von Veranstalter Helmut Brügelmann wurde durch ein persönliches Schicksal geweckt: "Als meine Ehe 1993 gescheitert war, wusste ich nicht wohin an Heiligabend", erzählt der weißbärtige Textilunternehmer. Mit 45 Jahren wollte er nicht mehr unter den elterlichen Weihnachtsbaum. Er zog seine alte Jeans an und fuhr als Helfer zum Alten Wartesaal.

400 Tüten mit Keksen

Seitdem versorgt er dort am Heiligen Abend rund 400 Gäste. Zum Angebot gehören auch in diesem Jahr festlich geschmückte Tische, Kuchen und Suppe, dazu Gospelchor-Gesang und ein Geschenk: Dafür hat Brügelmann überall in Deutschland Spenden gesammelt und 400 Tüten mit Keksen, Schokolade, Stollen und Duschgel gepackt. "Ich habe selten Leute gesehen, die sich so gefreut haben", sagt Brügelmann.

Auch Prominente zeigen sich engagiert. Zu "Weihnachten mit Frank Zander" kamen am vergangenen Mittwoch rund 2.800 Bedürftige ins Berliner Hotel "Estrel". Die Feier, die der Entertainer bereits zum 18. Mal ausrichtete, hatte Massenevent-Charakter. Am Eingang verteilte Zander persönliche Handschläge und im großen Festsaal warteten Geschenke und Gänsebraten. Prominente wie der evangelische Landesbischof Markus Dröge, der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir oder Sängerin Jeanette Biedermann fungierten als Kellner oder Unterhalter beim fetzigen Showprogramm. Besinnlichkeit sieht anders aus. Doch die Obdachlosen vergossen Tränen der Rührung. Sie fühlten sich gesehen und beachtet - sie, die sonst am Rand der Gesellschaft stehen.

Entertainer Frank Zander bei seiner Weihnachtsfeier für Obdachlose in Berlin.
Bild: ©picture alliance / Eventpress

Entertainer Frank Zander bei seiner Weihnachtsfeier für Obdachlose in Berlin.

"Die Menschen aus dem Loch holen"

Gediegener als bei Frank Zander läuft die traditionsreiche Weihnachtsfeier im Hofbräuhaus in München ab. Seit 63 Jahren umsorgen hier am Heiligen Abend 100 Ehrenamtliche rund 1.000 Bedürftige. Organisatorin Anneliese Sterr vom Katholischen Männerfürsorgeverein sagt: "Wir wollen die Menschen aus dem Loch holen, mit Weihnachtsliedern und einem Besuch von Weihbischof Engelbert Siebler." Der festliche Rahmen sei ein Anlass für einige Gäste, sich mal wieder richtig schick zu machen: "Sie sind dann ganz überschwänglich", sagt Sterr.

Die Feiern sind wichtig für die Menschen, lebenswichtig glaubt Helmut Brügelmann. Er mutmaßt, dass die Kölner Mitternachtsmission Selbstmorde einsamer Menschen verhindere. "Deshalb laden wir nicht nur Obdachlose ein, sondern alle, die nicht wissen wohin", sagt Brügelmann.

Mildtätigkeit, die schnell vorbei ist?

Auch Stefan Kunz von der Caritas hält die Feiern für einen guten Platz für Menschen, "die an Weihnachten alleine sind und auch sonst keine Möglichkeit haben, Weihnachten würdig zu begehen." Die Mildtätigkeit sei nach Weihnachten aber leider meist schnell wieder vorbei - auch das mediale Interesse daran. Kunz appelliert deshalb an die Veranstalter, das ganze Jahr über Aktionen zu starten und dafür Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.

Doch das saisonale Engagement erfüllt seinen Zweck. Nunu Nevis fühlt sich jedenfalls ein bisschen getröstet - sogar draußen auf der Domplatte. Fremde Menschen bringen Nevis in diesen Tagen einfach Klamotten und Süßigkeiten vorbei. "Die Menschen sind echt großzügig und nett", sagt er und lacht.

Von Lena Gilhaus