Weihnachten in Sicherheit
Während in Deutschland seit Monaten Tausende den Untergang des christlichen Abendlandes proklamieren, ist das urchristliche Morgenland tief in einem erbärmlichen Krieg versunken. "In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen", heißt es in der Apostelgeschichte. Die Metropole der Antike heißt heute Antakya und liegt in der Türkei. Nur ein paar Kilometer trennen die Stadt von Syrien, vom Krieg.
Aus Antakya stammt auch Janine, 22 Jahre alt, Studentin in Köln. An einem Dezemberabend ist sie in den Gemeindesaal von St. Dimitrios gekommen, gleich neben der Kirche. Der Raum wirkt etwas kühl, aber herzlich. Auf den Tischen liegen grüne Wachstischtücher und Adventsgestecke, im Nebenraum binden zwei Frauen weitere Gestecke. Janine ist da, um über das zu sprechen, was derzeit einen Großteil ihrer Freizeit einnimmt: die Flüchtlingshilfe.
Kleider, Wohnungen, Darlehen
Mit anderen jungen Gemeindemitgliedern versucht Janine, den Geflohenen in ein neues Leben in Deutschland zu helfen: Hilfe bei Behördenangelegenheiten, Übersetzungen, Deutschunterricht. Viel Verantwortung für eine Gruppe von Studenten und Azubis. "Ja, ist es", sagt Janine. "Aber wenn man das gerne macht, dann nimmt man sich auch die Zeit dafür. Und alles Gute kommt irgendwann zurück, das Schlechte genauso. Ich behandle die Menschen so, wie ich behandelt werden möchte. Man soll ein Vorbild sein."
Vorbildlich darf man das Engagement der Gemeinde wohl nennen. Die Orthodoxen bestreiten ihre Aufwendungen komplett aus Spenden, auf die Erhebung von Kirchensteuern verzichten sie. Trotzdem versuchen sie, ihren geflüchteten Mitchristen zu bieten, was sie brauchen: Eine Kleiderkammer im Keller des Gemeindehauses deckt Grundbedürfnisse, die Mitglieder der Gemeinde vermitteln Wohnungen oder öffnen ihre eigenen Türen für Geflüchtete. Die Pfarrei hilft auch finanziell aus: Viele haben nach der Flucht nichts mehr, weil sie alles den Schleusern gegeben haben.
Janine und ihre ehrenamtlichen Kollegen von St. Dimitrios haben viel zu tun. Zur Gemeinde, die ihre Kirche 1994 vom katholischen Erzbistum Köln übernommen hat, gehören etwa 3.000 antiochenisch-orthodoxe Christen. In Deutschland zählt das Patriarchat von Antiochien gut 15.000 Mitglieder.
Und es werden ständig mehr, denn die Gläubigen stammen zum größten Teil aus Ländern, in denen man - besonders als Christ - derzeit oft kaum noch eine Lebensperspektive hat: Türkei, Libanon, Palästina und vor allem Syrien. Zur Dimitrios-Gemeinde in Köln gehören mittlerweile über 300 Flüchtlinge. "Jeden Sonntag haben wir neue Leute", sagt Hanania Hakimeh, einer der Gemeindepriester. Kürzlich hätten sie im Gottesdienst 43 neue begrüßt.
Vater Hanania und seine Schäfchen
Seit vergangenem Jahr ist der Syrer Hakimeh als Erzpriester in der Kölner Gemeinde. Seine Schäfchen nennen den Mann mit dem gütigen Lächeln Vater Hanania, oder einfach nur Abouna, Vater.
Hanania sitzt neben Janine am Tisch im Gemeindesaal. "Ich bin gestern aus Syrien gekommen, aus Damaskus", übersetzt die Studentin den Bericht ihres Priesters, der Deutsch versteht, aber Arabisch spricht. "Meine Eltern und meine Geschwister leben noch dort. Ihr Leben dort ist sehr schwer. Es gibt keinen Strom und keine Heizung." Ob er Angst um seine Familie hat? "Ja, natürlich." Aber ein Visum für eine legale Einreise bekämen sie nicht und der Gedanke an seine Eltern als Passagiere auf einem Flüchtlingsboot mache ihm noch mehr Angst.
Themenseite: Auf der Flucht
Ob Naturkatastrophen, Armut oder Terror: Täglich verlassen Menschen ihre Heimat, um anderswo ein neues, ein besseres Leben zu beginnen. Die Flüchtlinge kommen auch nach Deutschland. Das bedeutet eine große Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Kirche.Tausende, die mehr oder weniger zufällig nicht im Blutbad des syrischen Bürgerkriegs untergegangen sind, hat später das Mittelmeer verschluckt. Laut UN-Flüchtlingskommissar über 3.500 seit Beginn des Jahres. Einer, dem dieses Schicksal erspart blieb, ist an diesem Abend auch dabei in der Kölner Adventsatmosphäre: Khalid ist 22 Jahre alt und Syrer, wie Vater Hanania. Khalid ist sicher und zivilisiert im Flugzeug von Beirut nach Deutschland gekommen.
Im März 2013 wurde sein Vater eines der ungezählten Kriegsopfer von Syrien. "Traurige Zeit", sagt er knapp. Mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern durfte der Damaszener daraufhin nach Deutschland kommen, wo seine Tante bereits seit zehn Jahren lebte. Sie hatte die Familie eingeladen und eine legale Einreise ermöglicht. In Syrien blieben Khalids Vater und seine Ausbildung: "Ich habe in Syrien BWL studiert. Aber nicht bis zum Ende. Wegen dem Krieg."
"Es gibt viel Bürokratie"
Khalid versucht, sich in Deutschland so gut es geht, zu integrieren. Er hat Deutsch gelernt, dann in einem Supermarkt und in einem Restaurant gejobbt, singt bei den Gottesdiensten im Chor. "Er ist meistens einer der Ersten hier", sagt Janine mit einem Lächeln. Deutsche Priester wären froh, so engagierte Jugendliche in ihrer Gemeinde zu haben. "Natürlich freue ich mich", sagt auch Vater Hanania. "Aber ich würde mich mehr freuen, wenn das alles nicht passiert wäre."
"Das alles" sieht man Khalid nicht an. In seinem Rautenkaro-Pulli sieht er so aus, wie man es von einem BWL-Studenten in Deutschland erwartet. Sein unterbrochenes Studium würde er gerne fortsetzen, doch für den Syrer ist die Studienplatzsuche noch schwerer als für viele Deutsche. "Ich habe mich an der Uni beworben und warte noch auf die Antwort von der Bezirksregierung." Ob seine bisherigen Studienleistungen aus Damaskus hier überhaupt anerkannt würden, weiß Khalid auch noch nicht. "Es gibt viel Bürokratie."
Während des Gesprächs über die Gemeinde und ihre Flüchtlingsarbeit geht es oft um die Behörden und ihre Regeln. Eine davon sei, dass man von den Verantwortlichen in den Flüchtlingsheimen nichts über die Religionszugehörigkeit der Bewohner erfahre, berichtet Janine. Sie und ihre Kollegen versuchten regelmäßig, in die Heime zu gehen und ihre Gemeinde vorzustellen. Um den Flüchtlingen zu sagen, wo sie ihre Landsleute treffen können. Menschen, die ihre Sprache sprechen, ihr Schicksal kennen - und ihren Glauben teilen.
Die christlichen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind eine winzige Minderheit. "Deswegen ist der erste Punkt auf unserer Liste, die Flüchtlinge aus den Heimen zu holen", sagt Vater Hanania. In der Gemeinde kenne jeder die Berichte über Probleme mit muslimischen Mitbewohnern. "Man lebt in Angst, weiß nicht, ob in der Nacht jemand kommt. Man wird bedroht. Und man hat Angst, es auszusprechen, weil man dann Angst um sein Leben haben muss."
Angst wird zur Gewohnheit
Die Angst wird bei manchem christlichen Flüchtling zur Gewohnheit. Janine kennt die Geschichten aus den Erzählungen der Heimbewohner, und die Situation macht sie sichtlich wütend. "Wenn man die Verantwortlichen darauf anspricht, wird das Problem oft verdrängt." Wie viele andere befürwortet Janine eine getrennte Unterbringung von Christen und Muslimen. "Die Menschen wurden in Syrien, im Libanon unterdrückt, weil sie Christen sind. Und in Deutschland ist es jetzt nicht anders."
Khalid schweigt an dieser Stelle des Gesprächs. Hat er so etwas auch erlebt? "Natürlich", antwortet er mit dünner Stimme. Auch in Syrien habe es Probleme geben, allerdings auf dem Land stärker als in der Hauptstadt Damaskus. Vater Hanania hat dazu eine klare Meinung: "Die Regierung war früher stärker. Da gab es keine Schwierigkeiten mit den Muslimen. Damals wurden Grenzen gesetzt, es gab Regeln." Der Führer der syrischen Regierung, Baschar al-Assad, hat im Westen keine Freunde mehr. Sein engster Verbündeter ist Wladimir Putin. "Assad ist kein Demokrat. Er ist ein Diktator. Aber er ist trotzdem mit den Christen immer gut umgegangen."
„Wir möchten nicht, dass Deutschland Soldaten in Syrien einmarschieren lässt. Die Soldaten haben auch Familie. Dort passiert schon genug, man muss nicht noch den Familien in Deutschland Leid zufügen.“
Deutschland geht derzeit aktiv gegen Assad vor: Der Bundestag hat die Entsendung deutscher Soldaten in den Syrien-Krieg beschlossen. Für Vater Hanania ist das keine Lösung: "Wir möchten nicht, dass Deutschland Soldaten in Syrien einmarschieren lässt." Das sagt einer, der das unermessliche Leid von Syrien mit eigenen Augen gesehen hat. "Auch unsere Leute, junge Christen, kämpfen in Syrien gegen den IS. Es stirbt sehr viel in ihnen. Unsere Jugendlichen sterben. Und wir wollen nicht, dass das auch mit den deutschen Kindern passiert. Wir trauern genauso um die Kinder Deutschlands wie um unsere eigenen Kinder. Deswegen wollen wir, dass die deutschen Soldaten in Deutschland bleiben." Und was wird dann aus Syrien? "Es ist schwierig", sagt Khalid.
Und jetzt steht das Weihnachtsfest bevor. Theologisch gesprochen ist es das Fest der menschgewordenen Liebe Gottes, der sich selbst zum hilflosen Menschen macht, um die Menschheit zu erlösen. In Traditionen gesprochen ist es das Fest der Liebe und der Besinnlichkeit. Wie feiert man in einer Gemeinde, in der unermessliches Leid immer präsent ist, gemeinsam die Liebe, die Besinnlichkeit, die Erlösung? "Wir feiern den Gottesdienst wie jedes Jahr", sagt der Priester Hanania. Janine stimmt ihm zu: "Es soll sich ja auch nichts ändern! Selbst wenn da draußen etwas Schlechtes passiert, sollen die Feiertage nicht vernachlässigt werden."
Unbezahlbare Wünsche zu Weihnachten
Die Weihnachtswünsche in diesem Jahr fallen dennoch spürbar anders aus. Janine und ihre Familie haben beschlossen, sich weniger gegenseitig zu schenken und mehr Geld zu spenden. Noch mehr. Ihren größten Wunsch kann ihr sowieso niemand kaufen: "Ich wünsche mir, dass nicht noch mehr Menschen ihre Heimat verlieren, dass sie in Frieden leben können, so wie früher. Ohne Hass. Muslime und Christen. Mein Wunsch ist, dass alle Menschen wieder friedlich miteinander leben."
Während des gesamten Gesprächs musste Janine die Worte von Vater Hanania übersetzen. Er ist noch nicht lange in Deutschland und spricht bisher wenige Worte. Für die Frage nach seinem persönlichen Weihnachtswunsch reichen sie: "Stop Krieg!"