Gewerkschafter Michael Quetting zum Streik an katholischer Klinik

"Wenn sich nichts ändert, bricht das System zusammen"

Veröffentlicht am 13.10.2017 um 17:15 Uhr – Lesedauer: 
Streik vor Ottweiler Krankenhaus
Bild: © ver.di
Pflegestreik

Ottweiler ‐ Erstmals haben Mitarbeiter eines katholischen Krankenhauses gestreikt. Verdi-Gewerkschaftssekretär Michael Quetting hat den Streik begleitet. Im Interview erzählt er, wie es jetzt weitergeht.

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Frage: Herr Quetting, der Warnstreik an der Marienhausklinik ist beendet. Sind Sie zufrieden mit dem Ablauf?

Michael Quetting: Ja, wir sind sehr zufrieden, dass die Kolleginnen und Kollegen dem enormen Druck standgehalten haben. Sie haben schon etwas Historisches gemacht, indem sie einen Streik gewagt haben. Für Sie war das eine schwere Entscheidung, viele hatten vorher auch Zweifel. Aber sie haben durchgehalten und eine unglaubliche Wirkung in ganz Deutschland erzielt. Das hat eine große Diskussion sowohl über Entlastung in der Pflege wie über den Dritten Weg ausgelöst. Wir haben signalisiert: Es ist möglich zu streiken, auch an kirchlichen Häusern. Das war ein toller Erfolg, und die Demonstration selber hat alle Erwartungen übertroffen.

Frage: Der Dienstgeber sieht das anders. Dort heißt es, dass nicht viele gestreikt hätten und praktisch keine Auswirkungen zu spüren waren.

Quetting: Das hat mich richtig wütend gemacht. Nachdem der Dienstgeber den Streik nicht verhindern konnte, spielt er ihn jetzt herunter. Wir haben mit hoher Verantwortung gewährleistet, dass die Versorgung an der Klinik gesichert war, obwohl der Arbeitgeber keine Notdienstvereinbarung mit uns abgeschlossen hat, wie das sonst üblich ist. Wir werden als Verhandlungspartner erst gar nicht zur Kenntnis genommen.

Frage: Momentan gibt es noch keine arbeitsrechtlichen Sanktionen wie Abmahnungen. Ist das Kulanz oder die Angst, vor Gericht zu verlieren und so den Dritten Weg zu gefährden?

Quetting: Sicher weiß das nur der Dienstgeber. Ich glaube aber, dass er da sehr klug beraten ist. Keiner, weder der Dienstgeber noch wir, weiß, wie die Gerichte entscheiden werden. Aber wenn es keine Sanktionen des Dienstgebers gibt, dann haben wir als Gewerkschaft auch keinen Anlass, dagegen zu halten, und damit wird erst einmal der jetzige Schwebezustand weiter gehalten und es bleibt ungeklärt, ob der Streik erlaubt war oder nicht. Die würden sich selbst ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie etwas anderes machen würden.

Michael Quetting (rechts)
Bild: ©ver.di

Michael Quetting ist Gewerkschaftssekretär des Bezirks Saar-Trier der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Er ist zuständig für Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.

Frage: Wie kam es dazu, dass zum Streik gegriffen wurde? Wie ist die Stimmung in der Belegschaft, was sind die Missstände, die Sie anprangern?

Quetting: Die Missstände sind im Marienkrankenhaus in Ottweiler nicht anders als in anderen Krankenhäusern. Die Situation in der Pflege ist unverantwortlich, es gibt viel zu wenig Personal. 14 Kollegen haben einen Brief an den Trierer Bischof Stephan Ackermann geschrieben und geschildert, was sie in ihrer Arbeit erleben. Wenn man diese Briefe liest, dann ist man schon sehr betroffen und hofft, dass man nicht selber Patient in einem Krankenhaus wird. Die Briefe wurden bewusst nicht veröffentlicht, weil die Kollegen dem Unternehmen nicht schaden und die Situation nicht verschärfen wollen.

Frage: Und wie hat der Bischof reagiert?

Quetting: Es gab eine Antwort, er hat sich bei mir bedankt für die Briefe, die wir als Gewerkschaft anonymisiert hatten. Der Bischof hat sicherlich auch darauf gedrängt, dass der Dienstgeber einschreitet. Aber der Dienstgeber hat leider schlecht reagiert: Anstatt etwas zu ändern, hat er versucht, die "Übeltäter" ausfindig zu machen. Uns gegenüber wurde mit den Briefen begründet, warum man nicht mit uns redet. Der Dienstgeber sehe darin einen Vertrauensbruch. Das Gegenteil ist richtig: Wir haben als Briefboten fungiert, mehr nicht, wir sind bewusst nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Eigentlich müsste der Dienstgeber uns dafür dankbar sein!

Frage: Der Dienstgeber verweist immer darauf, dass das Gute am Dritten Weg auch die hohe Tarifbindung ist. Wie sehen Sie das?

Quetting: Natürlich muss man es der Caritas zugutehalten, dass sie versucht, die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes zu übernehmen. Manchmal etwas zeitverzögert, nicht immer gut. Aber das ist kein Tarifvertrag. Den Dritten Weg lehnen wir ab, weil dabei nicht auf Augenhöhe verhandelt wird.

Frage: Die Argumentation der Kirche ist: Wir verhandeln in den arbeitsrechtlichen Kommissionen, die paritätisch besetzt sind, und an denen sich jetzt die Gewerkschaften beteiligen können. Was stört Sie an dieser Form an Aushandlung von Arbeitsbedingungen?

Quetting: Zunächst beteiligen wir Gewerkschaften uns daran gar nicht. Wir hätten zwar einen Platz in den Kommissionen, aber bei einer Auseinandersetzung sind wir gleich überstimmt. Die Verhandlung ist von vornherein nicht auf Augenhöhe: Der Dienstgeber legt die Regeln fest, wie verhandelt wird, und die Mitarbeiter, die sich in einem abhängigen Verhältnis zu ihrem Dienstgeber befinden, müssen sich innerhalb dieser Regeln verhalten, ohne sie mitbestimmen zu können. Aber wir brauchen die Diskussion gar nicht akademisch zu führen. Auch die, die für den Dritten Weg sind, wollen Entlastung in der Pflege.

Hintergrund: Der Dritte Weg

Der Staat hat den Kirchen in Deutschland das Recht eingeräumt, ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts zu schaffen. Beim sogenannten Dritten Weg handelt es sich um eine konsensorientierte Suche nach einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Bereich der Kirchen. Das Betriebsverfassungsgesetz und die Möglichkeiten von Streiks und Aussperrung gelten für die Kirchen nicht. Alle Fragen des Tarifrechts werden durch paritätisch aus Dienstgebern und Dienstnehmern besetzte Kommissionen geregelt. Gewerkschaften wie ver.di und der Marburger Bund kämpfen für ein Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen. (fxn/KNA)

Frage: Und was heißt das dann für die Kirche?

Quetting: Die Kirche könnte beweisen, dass sie mit ihrem Dritten Weg Entlastung erreichen kann. Wenn der Dritte Weg so toll ist, dann soll die Kirche das doch mal zeigen. Die Caritas Deutschland könnte zum Beispiel den Tarifvertrag, der in der Berliner Charité ausgehandelt wurde, einfach anwenden – auch wenn er uns noch nicht weit genug geht, das wäre ein Anfang. Aber es wird nur geredet! Was nützt uns das Reden, wenn nichts dabei rauskommt. Die Leute können nicht mehr! Natürlich hat der Arbeitgeber Recht, wenn er sagt, dass Geld fehlt und der Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Es ist auch kein Geld da für Investitionen, und trotzdem wird investiert – weil das Geld in der Pflege gespart wird!

Frage: Trotzdem erzielt der Dritte Weg eine höhere Tarifbindung als andere Einrichtungen.

Quetting: Und trotzdem lagert auch die Kirche Mitarbeiter aus. Die Kollegen, die in eine GmbH ausgegliedert werden, sind dann erstmal ohne Tarif. Da kann man die Kirche wegen ihrer "Tariftreue" nicht als Helden hinstellen! Ich will gar nicht leugnen, dass im Dritten Weg gewisse Standards eingehalten werden. Aber es gibt auch Missstände: Ich kann mich als Arbeitgeber doch nicht hinstellen und so tun, als ob die Gesetze wie zum Beispiel das Arbeitszeitgesetz für mich nicht gelten würden: Da wird länger als zehn Stunden gearbeitet, Ruhezeiten werden nicht eingehalten, es gibt keine geregelten Pausen. Das sind Zustände, die wir einfach nicht mehr ertragen können. Die Menschen in den Krankenhäusern werden krankgemacht! An einen christlichen Träger habe ich andere Ansprüche. Ich bin mit den Kirchen bei vielen Themen auf einer Seite: In der Allianz für einen freien Sonntag, im Kampf gegen Armut. Respekt vor diesen Leistungen! Ich erwarte aber, dass die Kirche ihre Beschäftigten anständig behandelt. Und ich erwarte auch, dass sie ihre Beschäftigten anständiger behandelt als private Träger.

Frage: Die kirchlichen Einrichtungen stehen im Wettbewerb. Wie soll das funktionieren?

Quetting: Es ist ein Wettbewerbsvorteil der katholischen und evangelischen Krankenhäuser, dass sie den Dritten Weg haben. Sie haben nicht die Kosten, die mit Tarifauseinandersetzungen in Verbindung stehen. Und das betrifft nicht nur Streiks. Einen Tarif im öffentlichen Dienst auszuhandeln, kostet mehrere Millionen, das kostet auf beiden Seiten viel Geld. Alles das spart sich die Kirche. Die Kirche hat einen enormen Vorteil dadurch.

Frage: Wie sieht es bei der Belegschaft aus? Steigt der Organisationsgrad?

Quetting: Wir haben große Anstrengungen dafür im Frühjahr unternommen, auch in kirchlichen Häusern. In einigen Krankenhäusern sind wir sehr gut organisiert, in den kirchlichen Kliniken sind wir aber noch nicht genug verankert. Aber unsere Anstrengungen sind in dem einen oder anderen Haus auf guten Boden gefallen. Wir haben unsere Organisationskraft auch in kirchlichen Häusern verbessert.

Streik vor Ottweiler Krankenhaus
Bild: ©Michael Merten/KNA

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat am Mittwochmorgen ein Streik in einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft begonnen. Vor der Marienhausklinik im saarländischen Ottweiler versammelten sich um sechs Uhr rund zwei Dutzend Menschen zum Auftakt eines Warnstreiks für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege.

Frage: Wie ist die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitervertretungen?

Quetting: Mal so, mal so. Ich gehe offen auf die Mitarbeitervertretungen dazu, und ver.di empfiehlt auch, als Mitarbeitervertreter zu kandidieren. Ich verkenne aber nicht, dass es eine Reihe von Mitarbeitervertretungen gibt, die begeisterte Anhänger des Dritten Weges sind, und die die Kampfformen einer Gewerkschaft ablehnen. Die sehe ich aber nicht als Feind, sondern als Freund. Wir versuchen, die Gemeinsamkeiten zu betonen. So haben wir auch an einigen Punkten kooperieren können und gemeinsame Aktionen gestartet, auch wenn manche Mitarbeitervertretungen nur bis zu einem gewissen Punkt mitgehen. Es geht uns um die Sache, um die Entlastung der Pflegenden, und da will ich gemeinsam mit den Mitarbeitervertretungen daran arbeiten, diese Entlastung zu erreichen.

Frage: Wie geht es jetzt nach dem Warnstreik konkret weiter? Was sind Ihre Ziele, was erwarten Sie?

Quetting: Wir werden uns heute treffen, die Gruppe wird weiter beraten, wir planen die nächsten Aktionen. Das wird auch davon abhängen, wie der Dienstgeber auf den Streik reagiert. Bis jetzt haben wir nur bewiesen, dass wir Aufmerksamkeit erreichen, sonst gar nichts. Wir hätten auch gerne die Unterstützung der deutschen Bischöfe, Entlastung durchzusetzen. Aber es genügt nicht, nur schön zu reden und die Mitarbeiter zu loben und dann wieder zum normalen Alltag überzugehen. Wir erwarten, dass sich jetzt etwas ändert.

Frage: Und wenn nicht?

Quetting: Und wenn sich nichts ändert, dann wird die Wut von Tag zu Tag wachsen, nicht nur in den kirchlichen Einrichtungen. Eines Tages werden Sie den Generalstreik in den Krankenhäusern haben. Darauf läuft es hinaus, wenn die Politik nicht handelt, wenn der einzelne Arbeitgeber nicht handelt, dann wird das System zusammenbrechen, und zwar in dem Moment, in dem die Beschäftigten einfach nicht mehr können und den Verantwortlichen nichts mehr einfällt. Die letzte Bedingung ist schon eingetroffen. Alle stehen schulterzuckend da, ob Arbeitgeber, ob Politik, ob Krankenkassen. Jetzt ist die Frage ganz einfach nur noch: Wie lange lassen sich Beschäftigte das noch gefallen? Es wird knallen. Und wer diesen Knall verhindern will, der muss jetzt handeln.

Von Felix Neumann