"Wer Muslime ernst nimmt, muss sie kritisieren"
Frage: Herr Abdel-Samad, was halten Sie von der Karikatur Kurt Westergaards, die Mohammed mit Bombe unter dem Turban zeigt?
Abdel-Samad: Die Karikatur finde ich großartig, weil sie ein Tabu bricht. Kurt Westergaard hat mich überzeugt, dass nicht Karikaturisten und Künstler Rücksicht auf religiöse Gefühle nehmen müssen. Sondern, dass die Betroffenen lernen müssen, mit Kritik umzugehen. Solange Kritik am Glauben nur für Muslime ein Problem ist, brauchen wir mehr davon.
Frage: Was entgegnen Sie Kritikern Westergaards, die seine Karikatur plakativ und brutal nennen?
Abdel-Samad: Wir dürfen die Meinungsfreiheit nicht von der Qualität einer Meinungsäußerung abhängig machen. Sie sind berechtigt. Und basta!
Frage: Was hat sich für Sie durch die Angriffe auf die Mohammed-Karikaturisten verändert?
Abdel-Samad: Trotz der Angriffe schreibe ich weiter, was ich denke. Ich kann aber nichts mehr spontan unternehmen und muss jedes Vorhaben mit der Polizei absprechen. Ich möchte, dass kein Karikaturist, Künstler oder Autor um sein Leben fürchten muss, weil er Mohammed kritisiert. Ich sehe nicht ein, warum man eine Figur wie Mohammed von Kritik verschonen sollte.
Frage: Seit den Angriffen auf Mohammed-Karikaturisten wie Kurt Westergaard oder die satirische Wochenzeitschrift "Charlie Hebdo" gelten Mohammed-Kritiker als Symbole der Meinungsfreiheit. Wie lebt es sich als Symbol?
Abdel-Samad: Ich möchte kein Symbol sein und kein Märtyrer. Ich will leben - und frei sein. Deshalb habe ich Ägypten verlassen. Wer bestimmt denn, was zu weit geht? Das sind die Radikalen. Und wir Vernünftigen sollen es hinnehmen? Das darf nicht sein. Die Künstler, Karikaturisten und Satiriker bestimmen die Grenzen von Kritik - und müssen sich dabei an das Grundgesetz halten.
Frage: Wie empfinden Sie Ratschläge an Karikaturisten und Satiriker, sich mit Kritik an Mohammed zurückzuhalten, um die religiösen Gefühle von Muslimen nicht zu verletzen?
Abdel-Samad: Das halte ich für Verrat an der Freiheit. Es geht diesen Leuten darum, einen Sonderstatus für Mohammed zu schaffen. Sollen wir uns aus falsch verstandener Toleranz im Westen den Mund verbieten lassen und die Kritik an Mohammed den Menschen in jenen Ländern überlassen, in denen die Todesstrafe herrscht? Das ist umgekehrter Rassismus. Das lehne ich ab. Das ist erniedrigend. Wer Muslime ernst nimmt, muss sie kritisieren. Haben denn Christen keine religiösen Gefühle? Sie haben gelernt, mit Kritik an Glaube und Kirche umzugehen.
Frage: Was steckt für Sie hinter dem Appell, auf religiöse Gefühle Rücksicht zu nehmen?
Abdel-Samad: Viele Islamwissenschaftler leben von der Unantastbarkeit Mohammeds. Manche gehen davon aus, dass Muslime weinen wie Kinder, wenn man ihren Propheten kritisiert. Einige deutsche Islamwissenschaftler schauen auf Muslime wie auf edle Wilde. Muslime brauchen keinen Anwalt.
Link-Tipp: "Dialog mit Islam ausweiten"
Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode hat am Dienstag das Institut für Islamische Theologie (IIT) in Osnabrück besucht. Er will "trotz der dramatischen und komplizierten Entwicklungen in der Welt den differenzierten Blick auf den Islam bewahren".Frage: Viele Islamwissenschaftler verweisen darauf, dass Muslime in Deutschland diskriminiert würden.
Abdel-Samad: Junge Muslime sind dafür bekannt, sich ständig über Diskriminierungen zu beklagen. Aber auch andere werden diskriminiert. Warum sind es immer Muslime, die sich zu Opfern erklären?"
Frage: Wie erklären Sie sich, was sie als überzogene Empfindsamkeit beklagen?
Abdel-Samad: Die Empfindsamkeit geht auf die Überhöhung von Mohammed zurück. Schon Mohammed ließ seine Kritiker töten. Muslime leiden unter dem Anspruch ihrer Religion, die Besten zu sein, während die arabische Welt bei Bildung und Wohlstand gegenüber dem Westen weit zurück liegt und sich religiöse Diktaturen mit Militärdiktaturen abwechseln. Daraus entsteht ein Minderwertigkeitskomplex.