Der Caritasverband unterstützt die Integration arbeitssuchender Flüchtlinge

Werde Türöffner!

Veröffentlicht am 23.11.2016 um 13:01 Uhr – Lesedauer: 
Soziales

Bonn ‐ Integration gelingt, wenn Menschen zu Kollegen werden - gemäß diesem Ansatz will der Caritasverband mit der Aktionswoche "Werde Türöffner" Ehrenamtliche und arbeitssuchende Flüchtlinge zusammenbringen.

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Die Geschichte von Venja und Odie ist ungewöhnlich. Zum ersten Mal begegnen sie sich in einem jordanischen Flüchtlingslager. Die Jurastudentin verbringt dort ihre Semesterferien, um zu helfen. Odie, der zu dieser Zeit mit Sportartikeln handelt, bringt Waren ins Camp. Er spricht gut Englisch und so kommen die beiden ins Gespräch. "Er hat mich zu seiner Familie nach Syrien eingeladen", erzählt Venja. Damals war es dort noch sicherer. Die junge Deutsche wird freundlich aufgenommen, lernt Odies Familie und seine Verlobte kennen.

Vier Jahre ist das nun her. Eine Zeit, die alles veränderte. Der brutale Bürgerkrieg in Syrien fordert Opfer. Auch Odies Verlobte stirbt bei einem Bombenangriff. Seine Mutter bittet ihn inständig, das Land zu verlassen. Bis er schließlich geht. Er flieht nach Deutschland und landet in einer Flüchtlingsunterkunft in Erkrath. Völlig unerwartet trifft er dort auf seine alte Bekannte Venja, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert. "Es war der absolute Zufall", sagt die 26-Jährige, die Odie seither hilft, in Deutschland Fuß zu fassen.

"Integration gelingt dann, wenn Menschen zu Kollegen werden"

Im Mittelpunkt steht dabei die Suche nach einem Ausbildungsplatz. Derzeit nehmen Venja und Odie als Tandem gemeinsam mit fast vierzig anderen Paaren an der Aktionswoche "Werde Türöffner" teil. Vom 20. bis 25. November richtet der Deutsche Caritasverband die Aufmerksamkeit auf arbeitssuchende Flüchtlinge und nutzt die Reichweite von Facebook und Co., um Menschen zu vernetzen, Kontakte anzubahnen und eine Online-Plattform für Tipps rund um Bewerbung und freie Stellen zu schaffen.

"Integration gelingt dann, wenn Menschen zu Kollegen werden", sagt Marc Boos vom Medienreferat der Caritas. "Auf dieser Ebene findet Begegnung statt. Die Geflüchteten erleben den Berufsalltag in Deutschland und können sich auf diese Weise langfristig selbst versorgen." Neben Sprachkenntnissen und passenden beruflichen Qualifikationen, fehlt es Flüchtlingen vor allem an einem Netzwerk, das Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern vermitteln kann. Diese Lücke füllen Ehrenamtliche, die ihre Tandempartner bei der Jobsuche begleiten.

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Etwa Hendrik aus Oldenburg. Er unterstützt Farhan, der im syrischen Aleppo als juristischer Schriftführer beim Ordnungsamt gearbeitet hat. Ein qualifizierter Beruf, mit dem er in Deutschland allerdings nichts anfangen kann. Farhan sucht nun eine Stelle als Immobilien- oder Automobilkaufmann. Hendrik begleitet ihn dabei, hilft bei den Bewerbungen, geht mit zu Vorstellungsgesprächen und dokumentiert diese Bemühungen für die Caritas-Aktion.

Spot auf die Ehrenamtlichen

"Wir richten eine Woche lang den Spot auf die ehrenamtliche Tätigkeit der Paten", erklärt Boos. Dabei gehe es auch darum, die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die bei der Jobsuche entstehen. Und das sind einige, wie auch Maria Süßmilch bei ihrer Arbeit in der Flüchtlingssozialberatung des Caritasverbandes für Dresden erlebt. Derzeit betreut sie drei Teilnehmer der Aktion in Pirna. "Ohne Unterstützung ist die Jobsuche für Flüchtlinge geradezu unmöglich", ist ihre Erfahrung.

In der Regel erhalten Asylsuchende aus Krisengebieten wie Syrien nach drei Monaten eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis. "Dann würden alle am liebsten gleich anfangen zu arbeiten", sagt Süßmilch. Aber so einfach ist es nicht. Mit der Arbeitserlaubnis fallen Flüchtlinge in die Zuständigkeit des Jobcenters und erhalten Arbeitslosengeld 2. "Damit sind sie verpflichtet sich zu bewerben. Wenn die Sprachkenntnisse aber noch nicht ausreichen, verstehen sie die Vermittlungsangebote, die das Amt ihnen zuschickt, nicht", beschreibt Süßmilch das Dilemma.

In Deutschland läuft zudem alles über Ausbildung und Studium, Zertifikate und Abschlüsse. Wer nichts Schriftliches vorzuweisen hat, hat es schwer. Oft fehlen auch technische Mittel, um eine Bewerbung zu verfassen und auszudrucken. "Natürlich können sie alles auch handschriftlich machen, aber wenn ein Personalverantwortlicher so eine Bewerbung zwischen all den sauber ausgedruckten findet, sind die Chancen ziemlich gering." Auch die - durchaus berechtigte - Frage potentieller Arbeitgeber nach der Aufenthaltsdauer macht die Suche schwer. "Will ich jemanden ausbilden, der vielleicht in einem Jahr das Land wieder verlassen muss?!"

Ein Bilderbuchflüchtling - und trotzdem arbeitslos

Auch Odie kennt das Problem. Er hat derzeit lediglich eine Aufenthaltsgenehmigung für zwölf Monate. Mit Venjas Hilfe hat er dagegen geklagt. "Kürzlich sagte mir ein Personaler, dass es unverantwortlich von mir sei, Odie mit dieser Perspektive Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz zu machen", sagt Venja entrüstet. Irgendeine Hoffnung müsse sie dem jungen Mann doch geben. "Er ist so motiviert, sein Deutsch ist schon sehr gut, er engagiert sich als Dolmetscher in der Flüchtlingshilfe - quasi ein Bilderbuchflüchtling. Und trotzdem sitzt er arbeitslos zu Hause."

In Syrien hat der 23-Jährige Business Management studiert und ist nun auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. "Am liebsten wäre er auch in Deutschland an die Uni gegangen, aber dann hätte ich Unterhalt für ihn zahlen müssen", erklärt Venja, die sich mit Odie eine Dreizimmerwohnung teilt. Deshalb stehen jetzt eine Ausbildung zum Zahntechniker oder Chemielaborant auf seiner Wunschliste. Fast dreißig Bewerbungen haben die beiden für Odie verschickt und dabei schon einiges gelernt.

Im Anschreiben heiße es definitiv klotzen, nicht kleckern. "Flüchtlinge sollten ihre Leistungen sehr konkret darstellen", ist Venjas Erfahrung. So hat Odie bereits zwei Sprachmodule übersprungen, weil sein Deutsch so gut ist. Er will sich wirklich integrieren und das scheint sich langsam auszuzahlen. "Gerade hat Odie einen Einstellungstest bei Bayer in Leverkusen gemacht. Das Unternehmen hat 96 offene Ausbildungsplätze und ein spezielles Programm für Flüchtlinge."

Rückenwind für die Betroffenen

Auch Ammar und seine Frau Hamze sind derzeit auf der Suche. In Syrien haben sie Erfahrungen als Ersthelfer und im Katastrophenmanagement des Roten Kreuzes gesammelt. Er studierte Jura, sie Soziologie. Nun sucht Hamze eine Stelle als Ersthelferin oder beim Bundesfreiwilligendienst. Ammar würde gerne als Alten- oder Krankenpfleger arbeiten. "Erst müssen sie aber ihre Sprachkurse beenden und Praktika machen", sagt Maria Süßmilch, die beide mitbetreut.

"Natürlich erwarten wir von unserer Aktion nicht, dass alle Teilnehmer innerhalb einer Woche eine Stelle haben", macht Marc Boos deutlich. "Andererseits sagen uns viele, sie würden gerne helfen, ihnen fehle aber die Zeit, um Pate zu werden." Um bei der Türöffner-Aktion mitzumachen reicht es aber schon, ein Hilfegesuch oder ein Profil weiterzuleiten. Auf diese Weise können die Teilnehmer sich auf Stellen bewerben, von denen sie alleine niemals gehört hätten. Rückenwind für die Tandems, den Menschen wie Odie, Farhan, Hamze und Arram so dringend brauchen.

Von Janina Mogendorf