Nepal einen Monat nach dem großen Erdbeben

Wettlauf gegen die Zeit

Veröffentlicht am 25.05.2015 um 13:10 Uhr – Von Michael Lenz (KNA) – Lesedauer: 
Wettlauf gegen die Zeit
Bild: © KNA
Nepal

Kathmandu ‐ Der Horror liegt gerade einmal einen Monat zurück: Hunderttausende Nepalesen leben nach dem großen Erdbeben vom 25. April in provisorischen Zelten. Und viele haben nach den schweren Erdstößen vom 12. Mai Angst vor neuerlichen Nachbeben. Ein Ortsbesuch.

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"Ich habe beim Abwasch geholfen, als plötzlich alles schwankte. Ich konnte noch ins Freie laufen, bevor unser Haus einstürzte." So erinnert sich der achtjährige Niraj aus dem Dorf Thorkapa an das Erdbeben. Jetzt campiert er mit seinen Eltern unter freiem Himmel in einem Zelt aus Plastik und Bambus.

Thorkapa liegt über 2.000 Meter hoch auf einem dicht bewaldeten Berg im Distrikt Sindhupalchowk an der Grenze zu Tibet. Durch die Nähe zum Epizentrum des Bebens in Ghorka ist Sindhupalchowk eine der am schwersten betroffenen Regionen. Mehr als 60.000 Familien des bergigen Distrikts mit den Achttausendergipfeln des Himalaya im Hintergrund sind obdachlos.

Von Sukute, einem Städtchen im Flusstal des Sun Koshi an der Straße zum 60 Kilometer entfernten China, bis hinauf nach Thorkapa sind es nur etwa fünf Kilometer. Für die kurze Strecke über eine staubige, steinige und kurvenreiche Piste aber braucht der Mahindra-Jeep mit Vierradantrieb eine Dreiviertelstunde.

Bild: ©dpa/Picture Alliance/Mushfiqul Alam

Zwei Frauen tragen nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal Hilfsgüter durch eine zerstörte Straße.

Noch langsamer kriechen die mit Reis, Linsen, Kochöl und Decken beladenen LKW von Caritas Nepal den steilen Berg hinauf. "Wir bringen heute für 820 Familien Hilfsgüter", sagt Pater Pius Perumana, Leiter von Caritas Nepal, der nach Thorkapa gekommen ist, um sich selbst ein Bild zu machen. In ganz Nepal wolle man in den kommenden drei Monaten 160.000 Familien unterstützen.

Die Hilfe für die Opfer: Sie läuft erst jetzt so richtig an. Erdrutsche und Nachbeben machten vor allem den Zugang zu den Bergdörfern fast unmöglich. Ähnlich schwer wiegen die zähe nepalesische Bürokratie sowie Bürokratie und Korruption im benachbarten Indien, wo viele der Hilfsgüter beschafft werden müssen. "Es hat zwei Wochen gedauert, bis die ersten LKW aus Indien hier waren", sagt Thomas Hoerz, ein deutscher Caritas-Mitarbeiter vor Ort. Ein Nadelöhr sei zudem der überlastete Flughafen von Kathmandu, der Hauptstadt von Nepal.

Auch vier Wochen nach dem Beben gibt es noch immer Regionen, in denen nicht der Hauch einer Hilfe angekommen ist. "Die Menschen im Tsum-Tal sind ganz auf sich gestellt", weiß Nadine Plachta, Leiterin der Außenstelle des Südasien Instituts (SAI) der Uni Heidelberg in Kathmandu. Verletzte dort seien auf die Behandlung mit traditioneller tibetischer Medizin durch buddhistische Nonnen angewiesen.

Nicht wenige Nepalesen sind wütend über die schleppende Erdbebenhilfe ihrer Regierung. Caritaschef Perumana erklärt die Unzulänglichkeiten mit der aktuellen politischen Situation: "Es gibt keine Verfassung. Wir leben in einer Postkonfliktgesellschaft." 2007 endete mit der Abschaffung der Monarchie und der Ausrufung der Republik ein zehnjähriger Bürgerkrieg.

Linktipp: Beten und spenden

Die deutschen Bischöfe trauern um die Opfer des Erdbebens in Nepal und rufen zu mehr Unterstützung auf. Unterdessen berichten Mitarbeiter der Caritas von den Zuständen vor Ort.

Aber für Gedanken an die große Politik ist wenig Raum. Viele spucken in die Hände, helfen sich so gut es geht selbst. Die Solidarität ist enorm. Selbst Auslandsnepalesen kommen heim um zu helfen. Vor dem unbeschädigten Rohbau einer Schule in Thorkapa herrscht bei Temperaturen um 30 Grad fast Volksfeststimmung, als der Konvoi mit Pater Perumana ankommt. Hunderte stehen in der sengenden Sonne Schlange, um Hilfsgüter in Empfang zu nehmen.

"Ich bin froh und dankbar", sagt Sabrita Khanai und strahlt. Decken und 30 Kilo Reis hat die 60 Jahre alte Bäuerin erhalten. Vielleicht freut sich auch Bir Bahadur Pohari. Aber das Gesicht des jungen Mannes ist steinern vor Schmerz über den Tod seines elf Tage alten Sohns, einem der neun Erdbebentoten von Thorkapa.

In Nepal steht unterdessen der Monsun vor der Tür. Das ist gut für die Landwirtschaft, aber schlecht für den Transport von Hilfsgütern und noch schlechter für die vielen zehntausend Erdbebenopfer ohne Dach über dem Kopf. Die Menschen in Thorkapa wünschen sich sehnlichst Wellblech zum Bau von Behelfsunterkünften. Die will die Caritas jetzt noch liefern. Der Wettlauf gegen die Zeit hat längst begonnen. Die Regenzeit beginnt in zwei Wochen.

Von Michael Lenz (KNA)