Auch Veränderungen gehören zum Alltag im Kinderdorf

Woche voller Abschiede

Veröffentlicht am 16.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
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Peru-Blog

Cañete ‐ In einem Kinderdorf zu leben bedeutet auch, dass der eingespielte Alltag hin und wieder durch planmäßige, aber auch unerwartete Abschiede von Mitarbeitern und Kindern geprägt ist. Wie Walter Brüggemann damit umgeht, was diese Veränderungen für ihn persönlich und die anderen Bewohner im Dorf bedeuten, berichtet er diese Woche in seinem Beitrag.

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In letzter Zeit ist einiges geschehen, weshalb ich heute über das Thema Abschied schreibe. Unsere Freiwilligenkoordinatorin Claudia aus der Schweiz, die mich an meinem ersten Tag so herzlich begrüßt hat, musste letzte Woche in ihre Heimat zurückkehren. Was war passiert? Auf einer Reise durch Südamerika hatte sie sich eine bakterielle Augenentzündung zugezogen, die so schlimm wurde, dass sie auf einem Auge nichts mehr sehen konnte.

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Eine Krankheit zwingt zur Abreise

Nach einem „Spießrutenlauf“, der sie bis in die Hauptstadt Lima führte, fand sie endlich einen spezialisierten Arzt und das notwenige Medikament. Weil es sich um eine schwere Erkrankung handelt, muss die weitere Behandlung in der Schweiz stattfinden. Wahrscheinlich wird später sogar eine Hornhauttransplantation nötig sein. Wir alle hoffen, dass Claudia wieder gesund wird und in Zukunft keine Einschränkungen erleiden muss.

Noch zwei weitere Kolleginnen mussten das Dorf jetzt aus gesundheitlichen oder privaten Gründen vorzeitig verlassen. Für andere stand der Tag der Abreise schon lange fest. So habe ich mich letzte Woche von meinem Zimmernachbarn Kieran aus Kanada verabschiedet, weil sein Freiwilligenjahr beendet ist. Es ist ungewohnt, das Zimmer für mich alleine zu haben. Ich hatte mich gut an das Zusammenleben gewöhnt.

Kaltes Wasser

Mit mir zurück bleibt unsere österreichische Krankenschwester Julia. Aber auch sie beendet ihr Freiwilligenjahr Ende November, so dass ich bis Mitte Januar erst einmal alleine hier bin. Dann kommen fünf neue Volunteers aus Deutschland, Frankreich, Österreich und den USA. Ich werde sie als Freiwilligenkoordinator begleiten und sie mit den Abläufen im Dorf vertraut machen.

Auch wenn ich mich auf diese Aufgabe schon sehr freue, bedeuten die vielen Abschiede für meine Arbeit hier vor Ort, dass ich erstmal ins kalte Wasser springen muss und ab sofort für sämtliche Belange zuständig bin: Projektkoordination (Koordination des MyGoodShops) und Vorbereitungen für die neuen Freiwilligen. Auch die Koordination der Besuchergruppen gehört dazu, denn ab Januar werden nach und nach sechs Gruppen aus Kanada mit je zwanzig Teilnehmern zu uns ins Dorf kommen. Sie alle werden zwei Wochen lang an Projekten mitarbeiten, die ich in nächster Zeit vorbereiten muss.

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Ich scheue die vielen neuen Aufgaben nicht und habe auch keine Angst davor, hier in Peru ernsthaft zu erkranken. Natürlich gibt es Risiken, aber ich weiß, wofür ich sie in Kauf nehme und für wen ich hier arbeite - für die Kinder und die täglichen Glücksmomente, die ich mit ihnen teile. Allerdings kann ich bis auf weiteres nur noch vierzehntägig von meinen Erfahrungen berichten. Ich habe einfach alle Hände voll zu tun.

Ein Kind wird adoptiert

Nicht nur Erwachsene verlassen das Dorf. In den vergangenen Wochen haben wir uns auch von einem zehnjährigen Jungen verabschiedet, der von einer Familie aus Italien adoptiert wurde. Am Tag vor seiner Abreise haben wir mit seinen Freunden, seinen Tios und Tias und seinen Adoptiveltern Abschied gefeiert. Die Adoptiveltern und sein neuer Bruder machen einen sehr netten Eindruck und der Junge bekommt, so glaube ich, eine gute Familie, die sich liebevoll um ihn kümmern wird.

Während der Abschiedsfeier habe ich aber auch in die Gesichter der anderen Kinder geschaut und mich gefragt, was sie wohl denken: "Warum bin ich es nicht, der adoptiert wird?" "Wie wird es unserem Freund weit weg in Europa wohl ergehen?" "Werden wir ihn wiedersehen?" Auch der Junge selbst wird sich in den Tagen vor seinem Abschied viele Gedanken gemacht haben. Denn auch, wenn die Zukunft für ihn positiv aussieht, lässt er doch sein Zuhause zurück und Menschen, die er liebgewonnen hat. Ich wünsche ihm von Herzen alles Gute!

Die Hilfsorganisation

Die Hilfsorganisation Nuestros Pequeños Hermanos (Unsere kleinen Brüder und Schwestern) wurde 1954 in Mexiko vom US-amerikanischen katholischen Priester William Wasson gegründet. Das Kinderhilfswerk unterhält Waisenhäuser in mehreren Staaten Lateinamerikas und der Karibik und wird unter anderem vom katholischen Kindermissionswerk "Die Sternsinger" unterstützt. Zur Internetseite der deutschen Organisation

In den vergangenen zwei Jahren sind bereits drei Kinder aus dem Haus der sechs- bis elfjährigen Jungen adoptiert worden, die ich mitbetreue. Normalerweise entspricht es nicht dem Ansatz von "nuestros pequeños hermanos", die Kinder zur Adoption frei zu geben. In Peru verlangt jedoch der Gesetzgeber, dass Jungen und Mädchen, die verwaist sind oder bei denen andere Umstände dafür sprechen, zur Adoption freigegeben werden. Es ist, wie gesagt, kein einfacher Moment für alle Beteiligten.

Nicht nur Abschiede gehören zum Alltag in der "Casa Santa Rosa". Auch die Aufnahme von Neuankömmlingen gehört dazu. Im nächsten Beitrag werde ich deshalb von einem Geschwisterpaar berichten, dass in diesen Tagen aus dem Dschungel zu uns gebracht wurde.

Von Walter Brüggemann

Kontakt zu Walter Brüggemann

Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Wenn Sie Walter Brüggemann schreiben möchten, erreichen Sie ihn unter brueggemann.walter@icloud.com