Wohnen wie bei Freunden
Für fünf Tage teilen sie nun ihre Zwei-Zimmer-Wohnung in einem hellen Altbau ganz in der Nähe des Leipziger Bahnhofs mit einem Ehepaar aus dem kleinen Ort Waidhaus der bayerischen Oberpfalz. Die Chemie scheint zu stimmen, dabei gibt es sehr wohl einige Gegensätze zwischen den vier Menschen, die nun für auf so engem Raum zusammenleben: Christine und Franz Kaas sind beide über 60, Christian Winter und Isabel Gnauk Mitte 20. "Unser jüngster Sohn ist ja noch älter als ihr", stellt Christine Kaas fest. Während sie und ihr Mann tiefstes Bayerisch sprechen, klingen die Sätze Christian Winters hochdeutsch.
Bevor sie sich am Mittwochabend kennenlernten, hatten die künftigen Mitbewohner nur miteinander telefoniert. Ob es nicht komisch sei, plötzlich fremde Menschen in der Wohnung zu haben? "Nein, wir haben ja Glück gehabt", sagt Christian Winter grinsend. "Mittlerweile habe ich mich schon dran gewöhnt, ich bin mal gespannt, wie es dann am Sonntag ist."
Bis dahin hat der ruhige junge Mann mit den blauen Augen sein Arbeitszimmer geräumt. "Die Vorbereitung war kein besonders großer Aufwand: Ich habe meinen Laptop zusammengepackt, wir haben die Gästecouch ausgeklappt und als Bett bezogen", fasst er zusammen. Außerdem bewirtet das Paar die Gäste jeden morgen mit einem Frühstück – darum sind alle Anbieter von Privatquartieren von der Katholikentagsleitung gebeten worden.
In der "Katholikentags-WG" kommt schonn Alltag auf
Trotz der kurzen Zeit, die sie sich erst kennen, kommt in der "Katholikentags-WG" schon so etwas wie Alltag auf. Die vier frühstücken in der Wohnung, dann geht jeder seinen Aufgaben nach: Das Ehepaar Kaas ist als Helfer in der Moritzbastei eingeteilt, einem Leipziger Kulturzentrum, in dem während des Katholikentags Lesungen und Konzerte stattfinden. Mit eigenen Schlüsseln für die Wohnung ausgerüstet, kommen sie bisweilen erst spät nach Hause. Isabel Gnauk ist Erzieherin und muss teilweise schon früh raus, Christian Winter geht seinem Studium nach. Doch den ersten Abend am Mittwoch haben sich die vier frei gehalten und gemeinsam verbracht. "Da haben wir schnell gemerkt: Das passt", sagt Christine Kaas.
Wer zu wem kommt, darauf hatten im Vorfeld aber weder Gastgeber noch Besucher einen Einfluss. Dass sie Gästen eine Rast anbieten, klingt bei Christian Winter und Isabel Gnauk trotzdem wie eine Selbstverständlichkeit: "So haben auch wir unseren Beitrag zum Katholikentag geleistet", sagt Christian Winter zufrieden. Zum Dank haben er und seine Freundin – beide Katholiken - jeweils eine Tageskarte mit freiem Eintritt erhalten, um auch selbst einmal über das Laientreffen schlendern zu können.
Mit der Unterkunft in Privatquartieren haben Christine und Franz Kaas schon vor zwei Jahren beim Katholikentag in Regensburg gute Erfahrungen gemacht. Mit ihren Gastgebern von damals stehen sie immer noch in Kontakt. Sie schreiben sich zu verschiedenen Gelegenheiten und auch in diesem Fall fand ein Gegenbesuch statt – ein Tagesausflug ins nahegelegene Marienbad, eine Kleinstadt kurz hinter der tschechischen Grenze. "So lernen wir Leute kennen, denen wir sonst sicher nicht so nahe gekommen wären. Dadurch lernen wir neue Perspektiven kennen – über die Generationen hinweg", erklärt Franz Kaas. Und seine Frau ergänzt, sie sei in beiden Fällen ohne Sorge angereist: "Wenn schon jemand für Besucher des Katholikentags seine Wohnung öffnet, dann kann man als Gast davon ausgehen, auf offene Menschen zu treffen."
Dass es 2016 erstmals nicht gelungen ist, im Vorfeld die angestrebte Zahl von 4.000 Quartieren zusammenzubekommen, davon haben auch die Kaasens und ihre Gastgeber gehört. Christian Winter schaut nachdenklich. Es gebe da bestimmt noch eine Dunkelziffer, meint er: "Ich vermute, dass unter den Leipziger Katholiken fast jeder Gäste hat." Nicht alle davon würde aber automatisch von der offiziellen Aktion "Gast sucht Rast" erfasst – etwa, wenn Menschen sie einfach Freunde oder Verwandte aufnähmen – so wie Christian Winters Mutter. Bei den Eltern von Isbael Gnauk wohnen übrigens gleich drei Gastfamilien.