Zum Glauben durchzweifeln
Der eine ist durch sein Theologiestudium zum Atheisten geworden. Der andere fand über die Philosophie zur Religion. Und der dritte, ein bekannter Ordensmann, hat regelmäßig Glaubenszweifel. Beginnen wir mit Letzterem: Anselm Grün, Benediktinerpater und Bestsellerautor aus Münsterschwarzach, gibt offen zu: "Ich kenne in mir Glaube und Unglaube. Der Unglaube macht mich toleranter, weil ich dann auch den anderen verstehen kann." Das mag manchen überraschen. Muss ein katholischer Ordensmann, noch dazu einer, der mit seinen religiösen Büchern eine Millionenauflage erreicht, nicht überzeugt sein vom Glauben – und andere überzeugen?
Beide Positionen – Glaube und Atheismus – in sich zu haben, sei ein Vorteil, meint Grün: "So kann ich natürlich auch den Ungläubigen in Frage stellen, ob das alles ist oder er nicht auch eine Ahnung von Glauben hat." Grün hat gemeinsam mit dem tschechischen Theologen und Soziologieprofessor Tomas Halik ein neues Buch herausgebracht, das er in der Katholischen Akademie Bayern in München vorstellt: "Gott los werden – Wenn Glaube und Unglaube sich umarmen". Halik ist überzeugt, dass auch der Nichtglaube ein Stück Wahrheit in sich trägt: "Ein kritischer Atheismus kann naive religiöse Vorstellungen ein wenig bereinigen. Wir sollten das umarmen und integrieren."
Für den Atheisten ist die Vernunft die höchste Instanz
Diese Nähe passt dem Marburger Philosophen Joachim Kahl überhaupt nicht. Kahl ist Atheist, er lehnt jede Form von Religiosität ab und bezeichnet sich als weltlichen Humanisten. "Die Philosophie als Magd der Theologie – das stammt noch aus der mittelalterlichen Scholastik. Damals sollte die Philosophie dem Glauben den Boden bereiten." Das sei keine tragfähige Position, findet Kahl, der nach eigener Aussage durch sein Studium der evangelischen Theologie – mit Abschluss Promotion – zum Atheisten wurde. 1967 trat er aus der Kirche aus, da ihm bewusst geworden sei, wie "haltlos und bodenlos die christlichen Fundamente" seien. Für ihn sei die Vernunft eine unverzichtbare, höchste Instanz.
Nahezu gegenläufig ist die Biografie des Tschechen Halik: Geboren 1948 in Prag, aufgewachsen in einer intellektuellen, säkularen Familie, gehörte die Bibel in seiner Jugend ebenso zum Bildungskanon wie die griechischen Mythen. Zunächst studierte Halik Philosophie, Soziologie und Psychologie. Doch es gab noch die andere Seite in ihm – die des religiösen Menschen: "Ich habe mich vom Agnostizismus meiner Familie zum Glauben durchgezweifelt. Ich habe so viel gezweifelt, dass ich auch über meine Zweifel gezweifelt habe."
Weil er in den 70er Jahren in der Tschechoslowakei nicht offiziell ins Priesterseminar konnte, absolvierte er ein Theologiestudium im Untergrund und ließ sich 1978 in Erfurt durch Bischof Hugo Aufderbeck geheim zum Priester weihen. "Auch meine Mutter wusste nicht, dass ich Priester war", sagt Halik, der damals offiziell als Psychotherapeut mit Alkohol- und Drogenabhängigen arbeitete, daneben in der tschechischen Untergrundkirche heimlich Gottesdienste feierte und den Prager Kardinal Frantisek Tomasek unterstützte, der als Kritiker des tschechoslowakischen Regimes galt.
Tschechen glauben an den "Etwas-ismus"
Heute ist Halik Professor für Soziologie an der Karlsuniversität Prag und Rektor der dortigen Unikirche. Er kennt also beides: Die in weiten Teilen areligiöse tschechische Gesellschaft und die im Glauben Verwurzelten. Halik spricht von einer Wiederkehr der Religion ins säkularisierte Europa: "Aber das ist keine Rückkehr zu der traditionellen Art und Weise, sondern zu einer transformierten Religion."
Einige Glaubensrichtungen veränderten sich in eine politische Ideologie. Andererseits gebe es viele Leute, die sich zwar nicht als religiös, aber als spirituell bezeichneten. "Es gibt viele Suchende, aber es gibt nicht viele Partner für sie", sagt Halik, der als katholischer Priester immerhin 1.300 Menschen getauft hat. Mit Blick auf seine Kirche ist er überzeugt, dass sich Institution und Strukturen weiter entwickeln müssen: "Zu den Suchenden können wir nicht als Besitzer der Wahrheit kommen, mit ihnen müssen wir auch Suchende sein. Die Wahrheit ist ein Buch, das niemand von uns zu Ende gelesen hat."
Was auch Kahl nicht bestreiten würde. Die These von der Wiederkehr der Religion jedoch lehnt der Atheist naturgemäß ab: "Die Religion ist in Europa in einem Niedergang begriffen." Das sei freilich kein Untergang des Glaubens, denn weil das Leben so komplex und schwierig sei, werde es "immer Menschen geben, die sich an religiöse Sinnangebote und Heilsversprechen klammern". Das sieht in gewisser Weise auch Halik kritisch. In Tschechien gebe es einen verbreiteten "Etwas-ismus": "Die Leute sagen, ich glaube nicht an Gott, aber etwas muss sein." Dabei wüssten sie kaum über Kirche und Glaube Bescheid.
Diesem religiösen Analphabetismus sei der Atheismus auf jeden Fall vorzuziehen, meint Anselm Grün: "Wenn ich den Unglauben zulasse, dann reinigt er den Glauben und fordert immer wieder heraus zu fragen: Was glaube ich denn wirklich? Wer ist Gott?"