Zum Handeln gezwungen
Im Jahr 1960 lebten in Deutschland 93.000 Ordensfrauen. Heute sind es 17.000, davon sind rund 85 Prozent über 65 Jahre alt. Zahlen, über die man nicht hinweggehen kann. Nicht mehr. Denn sie haben gravierende Folgen. "Zum ersten Mal ist das Sterben nicht nur eine Erfahrung von Einzelnen, sondern betrifft ganze Gemeinschaften", sagt Schwester Johanna Domek OSB, Beauftragte des "Netzwerks alternde Orden". Und in der Tat haben von den 437 Mitgliedern der Ordensobernkonferenz hundert Kongregationen weniger als zehn Mitglieder.
Psychologische und soziologische Erklärungsansätze gibt es viele. "Da heißt es, Familien sind kleiner geworden, die Gesellschaft ist pluralistischer, der Glaube schwindet. Und dann wählt man oft aus, was einem emotional am nächsten liegt", sagt Schwester Johanna. Sie glaubt, dass diese Erklärungsmuster nicht tief genug gehen. Man müsse den Kern verstehen, um in dieser Situation handeln zu können: "Gott hat uns dahin kommen lassen. Das ist keine Panne, sondern Führung, die an unsere Berufung und die Christusnachfolge erinnert."
Veränderungen in der Ordenslandschaft
Die Ordenslandschaft hat sich über viele Jahrhunderte immer wieder verändert. "Es gab Epochen, da lebten vielleicht drei oder vier Ordensleute in einem Kloster. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es eine Hochzeit, in der sehr viele Kongregationen entstanden." Das hielt bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts an. "Dass wir von dieser uns historisch noch bewussten Fülle in relativ kurzer Zeit in die heutige Situation gekommen sind, ist schon extrem", sagt Schwester Johanna. Und es bedeutet, dass Ordensgemeinschaften sich verabschieden müssen.
"Wir Menschen lassen nichts freiwillig los", so Johanna Domek. Das hätten schon die alten Ägypter gezeigt, die die Israeliten nicht ziehen lassen wollten. "Erst als die Plagen über sie gekommen sind, waren sie erleichtert, die Stämme loszuwerden. Wir haben alle große Ähnlichkeit mit diesen Ägyptern." Ein erster Abschied für die Orden sei die Trennung von den großen Werken gewesen. Schulen, Altenheime, Krankenhäuser, die sie nach und nach in andere Hände übergeben haben, ohne dass die Gründerintention dabei verloren gegangen wäre. Und das ist gut so, sagt Schwester Johanna, denn: "Es ist heute in unserer Gesellschaft nicht nötig, dass Orden große Einrichtungen betreiben."
Heute sei die Sorge um die alten Ordensleute und die Frage, wie es mit einzelnen Gemeinschaften weitergehen kann, zum brennendsten Thema geworden. Klosterschließungen erfordern mittlerweile eine eigene Rubrik in den Heften der Ordenskorrespondenz. "Diese Entwicklung geht durch alle Kongregationen - Ursulinen, Klarissinnen, Salesianerinnen. Wir erleben gerade eine radikale Zurückführung von Institutionen auf einzelne Personen." Da gebe es hunderte von Beispielen, denn viele Ordensleute lebten heute in kleinen beweglichen Gruppen.
Vier Schwestern, vier Aufgaben
Zum Beispiel eine franziskanische Gemeinschaft in Köln. Vier Schwestern, die gemeinsam in einem Haus leben. Eine ist Provinzoberin, eine leitet einen Kindergarten, die dritte arbeitet in einem sozialen Brennpunkt und die vierte engagiert sich in der Obdachlosenhilfe. "Vier Ordensfrauen, die keine Institution mehr im Rücken haben, aber auch nicht hinter Klostermauern sitzen, die sie von der Wirklichkeit trennen. Sie wirken als einzelne Personen und das ist die ursprüngliche zündende Idee des Ordenslebens gewesen: Christus ein Gesicht geben."
Vor eineinhalb Jahren haben die Waldbreitbacher Franziskanerinnen eine Gruppe in ein Bonner Problemviertel geschickt und das sehr sorgfältig vorbereitet. Nun leben sie mitten im Brennpunkt. Auch eine alte Schwester ist dabei. "Als ich die Oberin schmunzelnd fragte, was sie denn dort mache, antwortete sie: 'Ich gehe durch die Straßen.' Ein schöner Gedanke, der eine neue Form von Nähe zu den Menschen zeigt. Es ist eine Einmischung in die Gesellschaft. Orden wollen ja immer Zeichen sein und auf diese Weise können sie Menschen berühren."
Bekannte Orden: Benediktiner, Dominikaner und mehr...
Die kirchliche Ordenslandschaft ist bunt und vielfältig. Zahlreiche unterschiedliche Ordensgemeinschaften prägen das geistliche Leben in Deutschland. Katholisch.de stellt bekannt Orden mit ihrer Geschichte und ihren Traditionen vor.Kleinere Gemeinschaften, Konvente im Seniorenheim, verschiedene Orden unter einem Klosterdach. Die Lösungen, die alternde und schrumpfende Gemeinschaften für sich finden, sind vielfältig. Wie die Metamorphose einer Klostergemeinschaft gelingen kann, zeigt das Beispiel der Ursulinen in Osnabrück. Vor zwölf Jahren wurde eine Franziskanerin Priorin der damals konfliktbeladenen Gemeinschaft. Seither hat sich vieles verändert. Die Ursulinen haben sich entschieden, in ihrem Kloster zu bleiben, gaben ihre Schule aber an das Bistum ab, das auf der anderen Straßenseite schon eine Hauptschule betrieb.
Noch heute leben die Nonnen zwischen rund 2.000 Schülern. Zudem haben sie eine ganze Etage an Studentinnen vermietet, eine weitere an eine indische Ordensgemeinschaft. Zwei indische Schwestern betreuen hilfsbedürftige Ursulinen und betreiben im Alten Speisesaal mitten im Kloster eine Seniorentagesstätte. "Von Montag bis Freitag kommen dort 15 betagte Menschen zusammen, vier davon sind Ursulinen." Zu guter Letzt haben sie das Gartenhaus vermietet. An eine elfköpfige syrische Flüchtlingsfamilie. Ein funktionierendes, multikulturelles Lebensmodell mit mehreren Generationen unter einem Dach.
Anstrengende und langwierige Prozesse
So eine Veränderung ist anstrengend und dauert in der Regel einige Jahre. Häufig sind auch die Ordensreferate der Bistümer, Stiftungen und gemeinnützige Organisationen an den Prozessen beteiligt. "Ich habe 1991 die erste Klosterschließung erlebt. Das war entsetzlich. Man hatte keine Sprache dafür. Heute sprechen wir darüber", sagt Schwester Johanna. Trotzdem ist es ein leidvoller Weg und auch in neuen Formen des Zusammenlebens gibt es alle Probleme, die es zwischen Menschen nun mal gibt. "Wir brauchen die Schmerzen nicht kleinzureden. Aber man muss auch durch das Sterben durch. Ich finde es nicht redlich, gleich Vollendung zu erwarten."
Immerhin, das Thema ist aus der Tabuzone raus und wirft in alle Richtungen neue Fragen auf. 2015 gab es Workshops der Deutschen Ordensobernkonferenz zur Frage fehlender Leitungskräfte. "Es kamen Vertreter von 60 Ordensgemeinschaften, für die das ein Thema ist." Denn es gehe dabei ja nicht nur ums Alter, auch jüngere Ordensleute seien nicht alle automatisch für eine Führungsposition gemacht. "Zum Handeln gezwungen sind plötzlich Öffnungen möglich, die früher unvorstellbar waren."
So sind es heute nicht mehr nur Ordensmitglieder, die die Verwaltung einer Provinz oder eines Klosters übernehmen. Und man habe damit schon viele gute Erfahrungen gemacht, sagt Schwester Johanna. "Es sollten natürlich Leute sein, die zum Orden passen, aber dafür müssen sie ja nicht unbedingt einen Schleier tragen." Solche Veränderungen sind immer auch mit betriebswirtschaftlichen, zivil- und kirchenrechtlichen Fragen verbunden. "Die Beteiligten müssen Wege finden, die auf den Einzelfall zugeschnitten sind." Die Ordensoberkonferenz unterstützt diese Prozesse.
Hingabe bis ins hohe Alter
Ob sich verschiedene Ordensgemeinschaften zusammentun, Ordensleute als Gruppe in ein Altenheim ziehen oder einzelne von anderen Gemeinschaften aufgenommen werden - wichtig ist, dass sie im Anschluss nicht nur Pflege, sondern vor allem Seelsorge erfahren. "Es reicht überhaupt nicht aus, gut versorgt zu sein - quasi eine späte bürgerliche Existenz zu gründen", betont Schwester Johanna. "Natürlich ist es nicht schlecht, wenn man ein Pflegebett hat, aber es geht für Ordensleute auch im hohen Alter noch um Hingabe, darum sein Leben in den Dienst Gottes und der Menschen zu stellen."
Die Priorin der Ursulinen in Osnabrück renovierte vor zwölf Jahren zuerst die Klosterkirche, bevor sie alle anderen Veränderungen anging. "Das war genau richtig so, man muss vom Zentrum ausgehen", sagt Schwester Johanna. In einem Altenheim der Aachener Franziskanerinnen in Köln lebten bis vor Kurzem auch viele der eigenen Schwestern und Spiritualität blieb ein wichtiger Aspekt ihres Alltags. Da wurde regelmäßig miteinander gebetet und niemand alleine gelassen. Ein berührendes Zeugnis geben auch vier Benediktinerinnen von Hamicolt, die heute in Rosendahl leben. "Sie beten jeden Tag ihr Chorgebet in der Altenheimkapelle und sprechen mittags ihre Fürbitten. Damit tragen sie sich selbst und richten in ihrem hohen Alter auch noch den Blick auf andere."