Zwischen Freude und Terror
Die meisten Gruppen kamen im Laufe des Montags in ihre Unterkünfte in Krakau oder Umgebung an und sorgten am Abend für eine besondere Stimmung in der Krakauer Altstadt: Scharen Jugendlicher und ihrer Begleiter – oft Ordensleute aller Couleur – zogen durch die Straßen und grüßten alle Gruppen, die irgendwie nach katholisch und Jugend aussahen. Marcelina, Ulrike, Simon, Matthias und Katharina aus dem Bistum Speyer machten es ihnen am Dienstag nach: Weil sie bei Familien 30 Kilometer südlich von Krakau untergebracht sind, verschaffen sie sich noch vor dem Eröffnungsgottesdienst einen Überblick über die zweitgrößte Stadt Polens und die WJT-Hotspots.
Ähnlich bei einer Leipziger Gruppe um die Mittagszeit: Ein gutes Dutzend Jugendlicher dreht dem großen Marktplatz und der Marienkirche – Wahrzeichen der Stadt – den Rücken zu und versucht, sich im Schatten zu organisieren. Getrieben werden sie vom Hunger: "Das Essen für die Pilger wird in verschiedenen Restaurants ausgeteilt – aber die sind alle mega voll," berichtet Jonas. Der 21-Jährige und seine Freunde sind WJT-Neulinge und wissen nicht, dass die Essensausgabe bei praktisch jedem Weltjugendtag chaotisch anläuft. Die Laune lassen sie sich davon jedoch nicht vermiesen, sondern freuen sich über jedes kurze Gespräch mit Jugendlichen von weit her. "Hier trifft man so einfach Leute aus aller Welt, hier sind sogar welche aus Panama!", wirft die 16-jährige Klara begeistert ein.
Abkühlung durch Regenschauer
Die Großzahl derer, die durch Krakau ziehen, sind nach den Polen die Italiener. Überall sind ihre Flaggen zu sehen und ihre Gesänge zu hören. Aber auch viele Gläubige aus Spanien und Frankreich fallen auf. Alle sind gut drauf – und die Franzosen nicht mehr oder weniger als andere. Die Nachricht, dass es im Norden ihres Heimatlandes wieder einen Anschlag gab, kommt am Nachmittag zunächst nicht wirklich durch. Tanz und Musik, Neugierde und Freundlichkeit liegen in der Luft. Als ein Schauer über Krakau zieht und die Stadt etwas abkühlt, packen Tausende gelassen ihre Regencapes aus und pilgern weiter Richtung Blonia-Park.
Hinter den Kulissen spielt die Geiselnahme in Rouen, bei der ein 86 Jahre alter Priester getötet wurde, allerdings schnell eine Rolle: Erzbischof Dominique Lebrun teilt am Dienstagmittag mit, dass er die hunderte Jugendlichen, mit denen er zum Weltjugendtag gereist sei, verlassen werde, um am Abend in seiner unter Schock stehenden Diözese zu sein.
Beim Eröffnungsgottesdienst für den 31. Weltjugendtag spricht der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz den Anschlag gleich zu Beginn an. Er ruft vor hunderttausenden Gläubigen zum Gebet dafür auf, dass sich die Erkenntnis der Wahrheit, dass alle Menschen Schwestern und Brüder seien, durchsetzen möge. Man solle für alle Terroropfer der vergangenen Wochen und für den Priester, "der bei der Feier der Eucharistie in Frankreich getötet wurde" beten, so Dziwisz.
Verurteilung des "blinden Terrorismus"
Später rief er die WJT-Teilnehmer in seiner Predigt auf, gemeinsam die Sprache des Evangeliums zu sprechen. "Das ist die Sprache der Liebe. Das ist die Sprache der Brüderlichkeit, Solidarität und des Friedens." Er sprach an, dass es auch WJT-Teilnehmer aus Ländern gebe, in denen "blinder Terrorismus" herrsche, "wo die Herrschenden ihre Macht über die Menschen missbrauchen und sich dabei an irren Ideologien orientieren".
Nach der Predigt schwiegen die Jugendlichen für eine längere Zeit. Die Stimmung ist anders als in der Stadt im Laufe des Tages: besinnlich, konzentriert auf Gebet und Gesang. Zur Wandlung knien sie sich auf große Plastikplanen, die sie vor dem vom Regen durchweichten Boden schützen sollen. Angst vor Terror ist jedoch nicht zu spüren. Auf dem Rückweg nach der Messe fangen die ersten Gruppen wieder an, laut zu singen und zu tanzen. Als eine Kolonne von rund 20 Polizeibussen ihren Nachhauseweg kreuzt, lassen sie die Einsatzkräfte passieren, unterbrechen aber ihren Gesang nicht.