Zwischen Kirchturm und Minarett
Denn ein Teil der mehrheitlich muslimischen Flüchtlinge, die hier leben, will die Regeln des islamischen Fastenmonats Ramadan einhalten. Und das bedeutet: Essen und Trinken ist für sie nur zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang erlaubt. Auch Asem Idriss (31) hat sich vorgenommen zu fasten. Der Syrer aus Aleppo schläft in dem früheren Kaufhaus mit seiner Frau in einer Parzelle, die mit Vorhängen und Stellwänden abgetrennt ist. Sie teilen ihr "Zimmer" mit einem Paar aus Moldawien. Das monatelange Zusammenleben auf engstem Raum sei nicht einfach, sagt er. Das habe aber nichts damit zu tun, dass sie beide Muslime seien und ihre Mitbewohner Christen.
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Christliche Konvertiten leiden am stärksten: Das evangelikale Hilfswerk "Open Doors" hat Diskriminierung und Gewalt in deutschen Flüchtlingsunterkünften erforscht. Das Ergebnis fällt ernüchternd aus.Dass außer Irakern, Syrern und Afghanen jetzt auch etliche Moldawier in ihrer Unterkunft leben, wundert nicht nur Idriss. Auch für den Leiter der Unterkunft, Raphael Dütemeyer, kam die Ankunft dieser neuen Gruppe überraschend. Er sagt: "Offenbar gibt es da eine neue Route, die über Polen führt."
Sein Kollege Matthias Nowak ist für alle Flüchtlingshilfe-Projekte der Malteser in Berlin verantwortlich. Er hält nichts von der Idee einiger christlicher Gruppen, Christen, Muslime und Angehörige anderer Religionsgruppen in getrennten Unterkünften wohnen zu lassen. Besser sei es, allen Neuankömmlingen sofort klar zu machen, dass Toleranz in Deutschland jedem abverlangt werde. Dazu gehört für Nowak auch, "jungen Männern klarzumachen, dass es eben nicht ok ist, im Schwimmbad Frauen, die Bikini tragen, intensiv anzustarren".
Araber und Perser können nicht in ein Zimmer
In der Neuköllner Unterkunft leben rund 600 Menschen. Schlafzimmer, die man abschließen kann, gibt es nicht. Nur Etagenbetten und Stellwände. Eine Etage ist alleinreisenden Männern vorbehalten. Jeweils acht von ihnen teilen sich eine 25-Quadratmeter-Parzelle. "Araber und Perser in einem Zimmer, das geht einfach nicht gut", hat Heimleiter Dütemeyer festgestellt. Ob die Probleme zwischen diesen beiden Gruppen eher mit Politik oder mit Religion zu tun haben - die meisten Iraner sind schiitische Muslime, viele Araber Sunniten - ist für ihn, der in dieser drangvollen Enge für eine gute Atmosphäre sorgen muss, letztlich irrelevant.
„Wir sind wie eine große Familie hier.“
Tagsüber ertönt in dem Gebäude immer irgendwo Kinderlachen, manchmal auch Geschrei. Einen Gebetsraum gibt es nicht, dafür aber ein Zimmer, in dem Deutschunterricht für alle angeboten wird - und zwar unabhängig von den Erfolgsaussichten des Asylverfahrens. Allerdings findet man in diesem multi-ethnischen Stadtteil, wo man auf der Straße neben Deutsch immer auch Türkisch und Arabisch hört, ohnehin eine große Auswahl an Moscheen und Kirchen.
Asem Idriss spricht gut Englisch. In Syrien hat er früher Firmen in Sicherheitsfragen beraten. Zu seinen neuen Freunden in Berlin gehört der syrische Christ Said Ferhad (50). "Wir sind wie eine große Familie hier", sagt Ferhad, "wir lachen zusammen und wir essen zusammen". Ferhad ist ein bescheidener Mann. Seit einem Schlaganfall vor neun Jahren hat der frühere Bauarbeiter aus der Stadt Hama nicht mehr regelmäßig gearbeitet. Er gehört der griechisch-orthodoxen Kirche von Antiochia an. Mit den anderen Christen in der Unterkunft hat er nicht viel zu tun. Das liegt auch daran, dass er ihre Sprache nicht versteht. Das gilt für die Moldawier genauso wie dem Dutzend Muslime aus Afghanistan und dem Iran, die zum Christentum konvertiert sind.
Die Neu-Christen sind alle Protestanten geworden. Sie sagen, das Christentum sei eine "Religion des Friedens und der Liebe". Und dass sie glauben, in Deutschland als Christen leichter Fuß fassen zu können. Einer von ihnen gibt zu bedenken, "dass man im Iran umgebracht wird, wenn man als Muslim zum Christentum übertritt". Der Weg zurück sei für sie damit versperrt.