"Glaube ist keine Beruhigungspille"
Klaus von Stosch (45) und Klaus Köster (35) kennen sich aus der Universität zu Köln: Köster, inzwischen Gymnasiallehrer für die Fächer Sport und Religion, hatte während seines Studiums auch Veranstaltungen bei von Stosch belegt, der Professor für Systematische Theologie ist. Daraus wurde eine gute Freundschaft. Nun sitzen beide am runden Tisch in der Küche der Familie von Stosch für die vierte Folge der Serie "Glaubensgespräche": Die soll zwei Menschen unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Hintergründen zusammenbringen, um über Glauben zu sprechen. Sie reden darüber, wie schwierig das für viele Menschen ist.
Klaus von Stosch: Kaum jemandem fällt es leicht, über seinen Glauben zu sprechen. Selbst für Theologiestudenten ist das nicht selbstverständlich. Da gibt es immer eine gewisse Verlegenheit.
Klaus Köster: Auch an der Schule findet sich dafür kaum Raum, selbst im Lehrerkollegium. Da spricht man einfach nicht so drüber, es sei denn, man ist befreundet. Mit meinen Schülern ist es auch schwierig. Und das verstehe ich: Glaube ist etwas sehr Intimes. Man macht sich ein Stück weit angreifbar. Ich habe eine Lösung gefunden, indem ich im Unterricht erst einmal erzählt habe, woran ich selbst glaube. Dann erst haben sich die Schüler bereit erklärt, zu besprechen, woran sie glauben. Das war nicht immer etwas Religiöses, aber immerhin haben wir darüber diskutiert.
„Die Poesie Gottes kann leicht überhört werden.“
Von Stosch: Woran glaube ich, was prägt mich? Wonach suche ich? Dafür eine Sprache zu finden, bedeutet – wenn man es ernst meint – etwas sehr Persönliches preis zu geben. Das sagt viel über einen Menschen und seine Sehnsüchte aus. Gott ist für mich erst einmal ein Geheimnis, das sich uns sehr zärtlich nähert und uns viel Freiraum geben will. Zu diesem Freiraum gehört eine gewisse Unschärfe, gehören Interpretationsspielräume. Die Poesie Gottes kann leicht überhört werden. Doch nur, wenn es uns gelingt, auf sie zu hören und zu Wort zu bringen, können wir dem um sich greifenden Relevanzverlust des Glaubens entgegentreten. Wir müssen also wieder lernen, über Glauben zu sprechen – aber eben in der Intimität, die der Glaube braucht.
Frage: Woran glauben Sie denn? Wovon sind Sie persönlich überzeugt?
Von Stosch: Ich glaube, dass es eine Kraft der Liebe gibt, aus der alles ist und die alles hält. Diese Liebe hat sich in Jesus von Nazareth verbindlich gezeigt. An ihm können wir sehen, dass Gott sich für uns entschieden hat, seine Menschenfreundlichkeit wird an Jesus Christus erfahrbare Wirklichkeit. Ich glaube, dass diese Liebe auch unser Herz erfüllt. Der Geist Gottes gibt uns die Möglichkeit, im Mitmenschen die Zusage, aber auch die Schwäche Gottes zu sehen. Mit Schwäche meine ich, dass Gott sich für uns schwach macht, so wie er das mit Jesus Christus gezeigt hat. Insofern zeigt er seine Liebe für den Menschen gerade in seiner Schwäche und Verletzlichkeit. In diese Liebe sollen und dürfen wir einstimmen.
Köster: Ich habe ein personales Gottesbild. Ich glaube an ein Du, an ein Gegenüber, zu dem ich eine Beziehung habe. Ich glaube auch, dass diese Kraft den Menschen begleitet und ihm auch immer wieder neue Handlungsalternativen eröffnet. Und ich glaube an ein Handeln Gottes – in welcher Gestalt auch immer – und daran, dass die Nähe Gottes im Alltag erfahrbar ist. Diese Gottesbeziehung kann man über das Gebet und im Gespräch mit anderen erfahren.
Frage: Das klingt sehr durchdacht. Aber wie hat sich das entwickelt? Wie sind Sie zu diesen Überzeugungen gekommen?
Von Stosch: Zunächst einmal hatte ich Glück mit meiner Gemeinde. Ich hatte einen Pfarrer, den ich als Vorbild ansehen konnte und der seinen Glauben sehr authentisch vorgelebt hat. Und dann habe ich durch Besuche in Taizé und die Mitarbeit bei der Gemeinschaft Sant’Egidio in Rom, spirituelle Glaubensgemeinschaft erlebt. Das sind Faktoren, die mich dazu brachten, dem zu trauen, was meine Eltern mir als christlichen Glauben nahe gebracht haben. Das war nicht selbstverständlich, da meine vier älteren Geschwister sich davon abgewandt hatten. Später lernte ich durch mein Theologiestudium, meinen Glauben auch zu denken. Ich habe dieses Nachdenken als Befreiung erlebt und gemerkt, dass da eine Kraft ist, die mich ins Leben führt. Auch heute noch erlebe ich es immer wieder, dass da Menschen kommen, die den Glauben auf überzeugende Weise verkörpern und mir damit Mut machen – sogar unter meinen Studierenden!
Köster: Bei mir kam der Zugang zum Glauben durch meine Biografie. Ich bin im Sauerland aufgewachsen und da war es üblich, sonntags zur Kirche zu gehen. Im Nachhinein fand ich das sehr glücklich, denn sonst wäre ich mit Sicherheit nicht das geworden, was ich jetzt bin. Geprägt hat mich in dieser Hinsicht vor allem mein Opa. Er war mein Vorbild, er hat Orgel gespielt und sich in der Gemeinde engagiert. Beeinflusst haben mich aber nicht nur die Begegnungen mit Menschen, sondern auch das Lesen in der Bibel und später in theologischen Büchern. Das Studium hat meinen Glauben dann verändert. Es war zwar sehr fruchtbar, aber hat manches auch schwieriger gemacht: Das Kindliche am Glauben, wenn man das so sagen kann, ging mir verloren und ich habe auch persönlich schwere Momente erlebt. Aber ich hatte das Glück, auf Menschen zu treffen, die sich sowohl wissenschaftlich als auch spirituell mit dem Glauben auseinandergesetzt haben und mir bei einem Neuanfang helfen konnten.
„Dieser Gedanke, dass ich vieles nicht allein leisten muss, sondern dass ich von Gott getragen und inspiriert werde, hilft mir auch in meinem Berufsalltag.“
Frage: Wie zeigt sich denn Ihr Glaube im Alltag?
Köster: Jeder Mensch hat bestimmte Fähigkeiten. Ich glaube, dass diese Fähigkeiten von Gott verstärkt werden können. Dieser Gedanke, dass ich vieles nicht allein leisten muss, sondern dass ich von Gott getragen und inspiriert werde, hilft mir auch in meinem Berufsalltag. Ich versuche immer wieder, Zeit für Gebet und Exerzitien zu finden. Das brauche ich, um mich immer wieder neu auf Gott auszurichten. Prägend dafür war auch da mein Opa. Als ich ihn einmal gefragt habe, warum er so glücklich ist, hat er gesagt, dass er alles hat, was er braucht, und sich an den Glauben hält.
Von Stosch: Ich musste gerade daran denken, wie hart das für mich war, als ich mein erstes Kind bekommen habe. Vorher hatte ich mir den Rhythmus angewöhnt, jeden Abend das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit zu beten. Das ist ein Gebet in der ignatianischen Tradition, in dem man den ganzen Tag noch einmal ohne Wertung an seinem inneren Auge vorbeiziehen lässt. Aber gerade mein erstes Kind war abends ziemlich schwierig, also ging das nicht mehr – ich bin immer eingeschlafen. Das hat mich furchtbar frustriert: Ich konnte die Gottesbeziehung nicht mehr so weiterführen, wie ich das bisher wollte. Aber dann habe ich gemerkt, dass auch mein Kind mir hilft, liebend aufmerksam für unendlich viele Details die Wirklichkeit neu zu entdecken. Diese Unterbrechung war auch eine Chance, neu aufzubrechen. Glaube konkret heißt für mich – und so prägt es meinen Alltag – dass ich aus diesem Vertrauen leben kann, dass Gott mich überall finden wird, egal, was ich mache. Das ist eine ganz existenzielle Erfahrung: Es wird mir gut gehen, auch, wenn ich nicht alles in der Hand habe. Es werden sich Wege neu auftun, Jesus wird mich führen und begleiten. Natürlich versuche ich, meinen Glauben auch im Alltag zu zeigen, wie darin, dass ich mich in meiner Gemeinde engagiere. Als Jugendlicher habe ich irgendwann bei der Lektüre der Brüder Karamasow beschlossen, wie Aljoscha ein Mönch in der Welt zu sein – eben ganz auf das Geheimnis Gottes ausgerichtet und ganz ohne unnötigen materiellen Besitz – wie zum Beispiel ein Haus, Auto oder Handy. So kann ich lernen, mich auf den leisen Ruf der Liebe in meinem Alltag zu konzentrieren.
Köster: Wo du gerade Ignatius von Loyola erwähnt hast: Ich halte mich im Alltag an seine "Unterscheidung der Geister". Das ist eine Methode der Selbsterforschung und hilft, abzuwägen. Auf diese Weise Entscheidungen zu treffen, habe ich bisher immer als gewinnbringend erfahren. Ich bin vor kurzem Vater geworden, ich beschäftige mich also gerade mit Fragen wie: Kaufe ich ein Haus oder miete ich lieber? Und sollten wir uns ein umweltschonendes Hybridauto leisten? Wir sind alle Kinder Gottes und unsere Aufgabe ist es, der zu werden, der wir nach Gottes gutem Willen sein sollen. Das zu spüren, ohne in einen Leistungsgedanken zu verfallen, ist sehr motivierend.
Frage: Sie beide haben Ihren Glauben jeweils gefunden, aber vielleicht sind da ja Fragezeichen. Wonach suchen Sie noch?
Köster: Mein Glaube zeichnet sich auch dadurch aus, dass er immer wieder der Umkehr bedarf. Deswegen gefallen mir die Fasten- und die Adventszeit so gut: Es sind Zeiten der Besinnung, in denen man sich neu orientieren kann. Das stellt sich für jeden Abschnitt im Leben neu dar, denn es gibt immer wieder andere Themen, die vorherrschen und mit denen man sich auseinandersetzen muss. Gerade zum Beispiel: Wo will ich in der Schule wirken?
Von Stosch: Ich hatte ja gesagt, dass ich Gott als Liebe verstehe. Das Leben ist dann die Herausforderung, Lieben zu lernen, immer mehr zu lieben und irgendwann dieser Kraft so sehr zu vertrauen, dass jede Angst verschwindet. Aber es gibt Momente, in denen es mir schwerfällt, zu lieben, oder in denen ich diese Kraft nicht spüre. Was ich mir wünschen würde, wäre, dass ich am Ende meines Lebens den großen Frieden spüren kann, der aus dieser Kraft kommt. Ich erinnere mich, dass das bei meinem Vater so war, als ich ihn in den Tod begleitet habe. Ihm hat der Glaube Kraft gegeben, einfach loszulassen. Das war besonders beeindruckend, weil er jemand war, der sehr am Leben gehangen hat.
Frage: Haben Sie Momente des Zweifelns? Und wenn ja, was hilft Ihnen dann?
Von Stosch: Zweifel ist einfach da. Es macht keinen Sinn, ihn unterdrücken zu wollen. In solchen Momenten finde ich es ganz wichtig, diesen Zweifel zu artikulieren. Auch die Bibel ist voll von Zweifeln; Jesus selbst hat mehrmals gezweifelt, zum Beispiel im Garten Getsemani oder am Kreuz. Zweifel kann etwas sehr Produktives sein, er macht neugierig und hilft, etwas neu zu denken. Aber er kann auch existenziell verunsichern und wehtun. Der Glaube ist jedoch keine Beruhigungspille, er hilft, tiefer zu leben – und dazu gehört, dass man lernen muss, dem Zweifel Raum zu geben. Das ist schwer. Mir hilft es dann, mich mit ihm gedanklich auseinanderzusetzen. Aber nicht alles lässt sich auf diese Weise lösen. Dann spreche ich mit Freunden darüber oder bete Psalmen. Diese vorgegebene Form des Gebets ist gerade dann hilfreich, wenn man selbst nicht so recht weiter weiß.
Köster: Bei mir hilft das Lesen theologischer Werke, wie die von Jürgen Werbick, Hans Küng oder Eugen Biser. Aber das befriedigt nur meinen Intellekt. Für das Emotionale brauche ich einen anderen Zugang. Glaube ist für mich, wie schon gesagt, ein Beziehungsgeschehen. Bei Zweifeln hilft mir also der Austausch mit Menschen, zum Beispiel im Gesprächskreis in der Gemeinde. Dadurch kommen aber auch neue Fragen auf und manchmal bleiben die Zweifel auch. Dann denke ich daran, dass auch Heilige wie Teresa von Ávila oder Mutter Teresa damit gekämpft haben. Dieses Suchende, Tastende und Fragende ist eben meine Art zu glauben. Und es hilft, immer wieder neu auf Gott zuzugehen. Ein bisschen wie in der Getsemani-Perikope, in der Jesus seine Zweifel klagt. Und wem klagt er sie? Er klagt sie Gott!