Islamwissenschaflerin Rabeya Müller über gelingende Integration

Sensibilisierung statt Verwirrung

Veröffentlicht am 07.07.2016 um 00:01 Uhr – Von Rabeya Müller – Lesedauer: 
Debatte: Flüchtlingskrise

Köln ‐ Wie kann Integration gelingen? In dem man Extremismus bekämpft und Vorurteile abbaut, schreibt Islamwissenschaftlerin Rabeya Müller in einem Gastbeitrag für katholisch.de.

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Der Zustrom im letzten Jahr hat Ängste aufkommen lassen. Ängste, die teilweise berechtigt, aber teilweise auch irrational sind. Beide Kategorien werden sich bei zunehmenden Flüchtlingszahlen nicht verringern. Was sind das aber für Ängste? Viele sprechen davon, dass es zu viele seien, die zu uns kommen. Zusätzlich vermitteln einige Medien in ihrer Wortwahl das Phänomen einer Naturgewalt, die nicht unter Kontrolle zu halten scheint, besonders wenn sie von "Flüchtlingsstrom" oder "Flüchtlingsschwemme" sprechen. Das signalisiert, dass alleine schon die Anzahl der Menschen eine Bedrohung sei.

Wer ein wenig Mathematik beherrscht, wird schnell erkennen, dass ein Zuwachs von einer Million Menschen bei mehr als 80 Millionen Einwohnern ein Verhältnis 1:80 darstellt. Also muss hinter der Panik, die zeitweise aufkommt, noch wesentlich mehr stecken. Dazu gehören zum Beispiel sogenannte symbolische Bedrohungen wie die Befürchtung, die Kultur des Landes würde untergehen.

Bild: ©privat

Rabeya Müller ist Bildungsreferentin beim Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung in Köln, außerdem engagiert sie sich ehrenamtlich als Imamin bei der MGR (Muslimischen Gemeinde im Rheinland)

Die Kultur unseres Landes wird oft mit dem Begriff christlich-abendländisch bezeichnet. Christliche Werte also, die von Erzbischof Heße einprägsam in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt werden, indem er soziale Mindeststandards aus dem christlichen Menschenbild begründet. Aber auch andere Religionen haben ähnliche Vorstellungen. So können sich auch Musliminnen und Muslimen darauf berufen, dass Gott im Qur’an zunächst einmal von seiner Schöpfung Mensch spricht, der er nahe ist: "Tatsächlich, Wir erschufen den Menschen, und Wir wissen, was in seinem Innern vorgeht; und Wir sind ihm näher als (seine) Halsschlagader." (Qur’an 50:16)

Jeder Mensch ist ein Mitmensch und für Angehörige vieler Religionen das Geschöpf einer Schöpferkraft. Aus dieser Perspektive dürfte es also keine Menschen zweiter Klasse geben. Wenn wir Nächstenliebe als einen Wert identifiziert haben, dann müssen wir ihn verteidigen und zwar gegen jedwede Art von Bedrohung.

Es gibt auch berechtigte Ängste

Das bringt uns zu den berechtigten Ängsten. Nichtmusliminnen und Nichtmuslime sowie Muslime und Musliminnen teilen die Ängste vor Extremismus jeder Couleur. Extremismus von rechtsextremer, aber auch von radikaler muslimischer Seite gefährdet den gesellschaftlichen Gesamtfrieden. Dabei sollten wir aufhören, für den ersten die sozialen Umstände, für den zweiten aber die Religion verantwortlich zu machen. Beiden Extremismen ist gemeinsam, dass Menschen sich ausgegrenzt fühlen und sich in ein Weltbild flüchten, bei dem alles so einfach erscheint – damit schnappt dann oft die Falle zu. Vielfach beruht diese Identitätsperspektive auf tradierten Vorstellungen und Gerüchten, die dazu dienen, das "Andere" zu diskreditieren und als Feindbild aufzubauen. Gerüchte sind gefährlich, sie führen zu Ressentiments. Vorbehalte gegen Menschen muslimischen Glaubens sind in den Gegenden, in denen wenige Muslime und Musliminnen leben meist größer als in solchen, wo es das Mit- oder auch nur Nebeneinander schon lange und in größerem Maße gibt.

Es ist wichtig, extremistisches Gedankengut von kriminellen Handlungen zu unterscheiden. Menschen, die sexuelle Übergriffe begehen oder solche, die Flüchtlingsheime in Brand stecken machen sich widerwärtiger Verbrechen schuldig. Es steht außer Frage, dass diese Straftaten als solche benannt und geahndet werden müssen.

Dossier: So schaffen wir das - Die Debatte zur Flüchtlingskrise

"Wir schaffen das" ist zum geflügelten Ausspruch in der Flüchtlingskrise geworden. Doch wie kann eine realistische Willkommens- und Integrationspolitik künftig aussehen? Darüber lässt katholisch.de in einer Serie Experten aus unterschiedlichen Bereichen diskutieren.

Wie aber lässt sich Extremismus eindämmen? Zunächst ist es keine Binsenweisheit, dass sich Stereotype ebenso wie Vorurteile nur schwer oder gar nicht hinterfragen lassen. Das setzt eine Form von Selbstkritik voraus, bei der es nicht darum geht, sich selbst zu zerfleischen, sondern einfach ehrlich mit sich selbst zu sein. Ein schwieriges Unterfangen.

Es gilt, Menschen grundsätzlich für das Erkennen von Vorurteilen zu sensibilisieren. Lernen zum Beispiel Kinder und Jugendliche Diskriminierung zu erkennen, bei sich selbst oder im sozialen Umfeld? Lernen sie die Abwertung eines anderen Menschen als ein Abwerten der eigenen Werte zu erkennen? Das zu analysieren, sollte in der Schule gelehrt werden.

Auch geschichtliches Wissen ist wichtig. Der Islam ist ebenso europäisch wie Christentum und Judentum – alle stammen aus dem Orient. Oder umgekehrt formuliert: das Christentum ist ebenso orientalisch wie Judentum und Islam. Wenn Jugendliche mit einem solchen Satz konfrontiert werden, können sie beobachten, wie es in ihnen arbeitet. Dabei geht es hier nur um einen geschichtlichen Fakt, dessen Auswirkungen eifrig diskutiert werden können und sollen. Stereotypen müssen bewusst gemacht und vermeintliche Lösungen wie das Abschotten oder Abschieben als unrealistisch entlarvt werden.

Gegenargumente müssen verbreitet werden

Es gilt also, Gegenargumente zu verbreiten und keine Unsicherheit und Verwirrung. Nicht nur die Politik, auch andere öffentliche Institutionen, vor allem die Medien, sollten nicht den Eindruck erwecken, alle "Nicht-Flüchtlinge" seien in ihrer Existenz bedroht. Wir sollten deutlich machen, dass die Ressourcen für alle reichen, wenn wir bereit sind zu teilen. Danach können die Talkshowthemen nicht mehr lauten: "Wie viel Islam verträgt Deutschland?", sondern: "Gemeinsam gegen Extremismus – wie wir zusammenstehen!"  Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass alle Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht genommen werden, gleich welchen Bekenntnisses sie sind.

Durch die Erarbeitung solcher ethischer Komponenten über alle religiösen und ideologischen Grenzen hinweg lassen sich gemeinsam die Werte verteidigen, die uns alle am Herzen liegen. Das müsste doch zu schaffen sein!

Von Rabeya Müller