Dorothea Sattler über die christliche Versöhnungslehre

Barmherzigkeit auch für Beate Zschäpe?

Veröffentlicht am 11.12.2015 um 00:01 Uhr – Von Dorothea Sattler – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Dorothea Sattler über die christliche Versöhnungslehre

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Die christliche Versöhnungslehre mutet denen, die ihr vertrauen, viel zu: die Bereitschaft zur Versöhnung mit allen Sünderinnen und Sündern. Der Grund ist die Einsicht, immer auch selbst vor Gott angesichts des eigenen Versagens nur auf seine Gnade und Barmherzigkeit vertrauen zu können. "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet" – so mahnt Jesus in der Bergpredigt (Mt 7,1). Die Feinde lieben – auch das noch fordert Jesus ein (vgl. Mt 5,43-48). Gilt all dies auch im Hinblick auf Beate Zschäpe angesichts der grausamen Morde der NSU-Gruppe? Emotional fällt es mir schwer, diese Frage mit Ja zu beantworten. Mit dem gläubigen Herzen betrachtet, nehme ich wahr, dass die Weisungen Jesu keine Ausnahme vorsehen.

In diesen Tagen wird zu Beginn des Heiligen Jahres oft über "Barmherzigkeit" nachgedacht. Bei Gott verbinden sich Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Die Vorstellung von Gottes Gericht am Ende der Zeiten ist eine Botschaft der Hoffnung für alle, die im Leben keine Gerechtigkeit erfahren haben. Die Mörder werden nicht ungestraft bleiben, dies ist im Glauben gewiss. Gott wird Rechenschaft fordern – und er durchschaut, was stimmt und was zur eigenen Entlastung vorgetäuscht ist. Gott weiß um alles. Niemand entkommt ihm – und das ist gut so. Barmherzigkeit und Gerechtigkeit bedingen einander.

Nach römisch-katholischer Vorstellung erlebt der Mensch in Gottes Gericht eine persönliche Läuterung des Lebens. Die leidvollen Folgen der eigenen Taten kommen schmerzlich zu Bewusstsein. Wer große Schuld auf sich geladen hat, wird von Gott unerbittlich in einem intensiven Prozess zur Wahrheit seines oder ihres Lebens geführt. Nur auf der Grundlage der nüchternen Selbsterkenntnis ist eine Aussöhnung mit der eigenen Lebensgeschichte möglich. Therapeutische Erfahrungen lehren dies. Nur dann, wenn alle Täter und Täterinnen aufrichtig sind, kann sich die Hoffnung erfüllen, die sich mit Gottes Gericht verbindet: die Versöhnung auch mit den Opfern.

Was passierte, wenn Beate Zschäpe durch die Heilige Pforte ginge? Gottes Barmherzigkeit könnte für sie heute schon erfahrbar werden, wenn sie sich zuvor aufrichtig mit ihrer Lebensgeschichte auseinandergesetzt hätte. Vielleicht hat sie es – wer traut sich ein letztes Urteil darüber zu? Gott weiß es.

Die Autorin

Dorothea Sattler ist Professorin für Ökumenische Theologie und Dogmatik an der Universität Münster.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.
Von Dorothea Sattler