Bitte keine Rolle rückwärts
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Niedersachsen kehrt zum neunjährigen Gymnasium zurück. Da kann ich nur noch die Augen verdrehen. Ich gehörte damals, im letzten Jahrzehnt, zu den Schulleuten, die den Übergang von G9 auf G8 kritisch sahen - unter anderem auch deswegen, weil diese Veränderung vorwiegend ökonomisch und europa-strukturpolitisch begründet waren, und nicht pädagogisch. Aber man muss ja nicht immer recht haben.
Also machten wir uns dann mit Knurren an den Umbau: Ein Jahrzehnt harte Arbeit, um die Schuljahreskürzung so durchzuführen, dass trotz größerem Zeitdruck Zeit zum Nachdenken bleibt; dass die musisch-künstlerischen Fächer nicht "entrümpelt" werden; dass Curricula und Prüfungsformate umgestellt werden; dass Mensen gebaut werden; dass die Jugendlichen nicht bis in die Nacht mit Hausaufgaben überladen werden; das Schüler- und Elternängste angemessen aufgefangen werden - ein Jahrzehnt, in dem mehr als die Hälfte der Lehrer- und Schulleitungsenergie vor Ort auf Strukturveränderung ging (und somit von der konkreten pädagogischen Arbeit abging). Immerhin, am Ende stand die Einsicht: Es geht auch mit G8. Man kann nämlich auch G8 entweder gut oder schlecht machen.
Man kann Geschichte nicht zurückdrehen
Und nun wird die Sau umgekehrt durchs Dorf zurückgetrieben. Unglaublich. Wieder ein Jahrzehnt, in dem sich Schule mit sich selbst und weniger mit den Schülerinnen und Schülern und mit Unterrichtsinhalten beschäftigen soll. Schon werden die ersten strittigen Fragen sichtbar: Was geschieht nachmittags, wenn - bis zur 10. Klasse - der Pflichtuntericht wieder um 13.00 Uhr endet? Was wird man künftig in Fächern lernen, die nicht mehr zwei-, sondern einstündig unterrichtet werden sollen? Wie werden die Curricula umgestellt? Wie bewältigt man die nun spiegelverkehrt anstehenden Übergangsprobleme? Die niedersächsische Landesregierung folgt der Illusion, man könnte Geschichte zurückdrehen. Und selbst wenn das klappen sollte - eine weitere Schülergeneration an Gymnasien wird dafür zahlen müssen.
Bildungspolitik fährt seit Jahren, angetrieben von einem nervösen gesellschaftlichen Bildungskurs, mit der Institution Schule Slalom. Und das auch noch je nach Bundesland in unterschiedlichen Kurven. Schule aber ist ein Tanker. Mit Tankern Slalom fahren ist gefährlich. Für den bildungspolitischen Mainstream in den Landesregierungen ist - ähnlich wie für die OECD - Bildungspolitik tendenziell eher ein Instrument der Gesellschaftspolitik geworden, und im Fall der Fälle auch der Stimmungspolitik, zum Schaden für das Kernanliegen von Bildung, nämlich das Erlernen von Selbst-Denken.
Vielleicht sollte die Bildungspolitik einfach mal ein paar Jahre lang nicht mehr über Strukturen sprechen, sondern Schule ermöglichen, mit voller Kraft pädagogisch zu arbeiten. Zu tun gibt es an allen Schulen auch ohne den von oben verordneten Reformzirkus genug. Nur wer mit großer Geduld ganz lange dicke Bretter bohren kann, dient der Schule als Institution und damit Jugendlichen und ihrem Recht auf Bildung. Wer hingegen mit Tankern Slalom fährt, den reißt es irgendwann aus der Kurve.