Joachim Frank über Vorwürfe gegen deutsche Bistümer

Der Missbrauchsbeauftragte der Regierung hat Unrecht

Veröffentlicht am 21.08.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Joachim Frank über Vorwürfe gegen deutsche Bistümer

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Es gibt Kritik, die zutrifft - und doch nicht trifft. In diese scheinbar paradoxe Kategorie fallen die Vorwürfe, die der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, gegen die Deutsche Bischofskonferenz erhoben hat. Für deren interdisziplinäre Studie zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche hätten nicht alle Bistümer ihre Archive geöffnet, beklagte Rörig und sprach von einem fortdauernden Vorrang des Institutionen- und Täterschutzes vor dem Opferschutz.

Das klingt gut und - gerade nach den jüngsten Forschungsergebnissen aus dem US-Staat Pennsylvania – auch höchst plausibel. "Über Jahre und Jahrzehnte wurde sexuelle Gewalt an Kindern in kirchlichen Einrichtungen vertuscht, bagatellisiert und unter den Teppich gekehrt", hielt Rörig fest.

Damit ist die Vergangenheit richtig beschrieben. Aber spätestens seit der Skandalwelle des Jahres 2000 hat sich das in Deutschland grundlegend geändert. Die verbindlichen Leitlinien und die Präventionsordnungen der Bistümer stellen unmissverständlich auf den Opferschutz ab.

Rörig weiß das – oder müsste es wissen. Genau wie er das Design der von ihm kritisierten Studie kennen sollte. Für deren quantitativen Teil war es immer vorgesehen, die kirchlichen Archive nur in einigen Bistümern stichprobenartig für die gesamte Nachkriegszeit zu durchforsten und sich in den übrigen Bistümern auf die jüngere Vergangenheit zu beschränken.

Das ist nachvollziehbar und sogar sinnvoll. Es geht bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs nicht mehr in erster Linie um eine Statistik der Fallzahlen, sondern um systemische Ursachen. Hierauf müsste Rörig abheben, wenn es ihm um wirkliche, substanzielle Veränderungen zu tun wäre. Denn an den Zusammenhang zwischen Missbrauch und den männerbündischen Strukturen in der Kirche, ihrer in vielerlei Hinsicht unausgegorenen Haltung zur Sexualität im Allgemeinen, zu Frauen und Homosexuellen im Speziellen sowie der besonderen geistlichen Autorität des zölibatären Klerus wollen längst nicht alle Verantwortlichen in der notwendigen Nüchternheit und Schonungslosigkeit heran.

Rörig aber legt stattdessen jetzt wieder die alte Platte von Heimlichtuerei und Vertuschung auf. Sie klingt – wie gesagt – noch immer allzu gut. Aber sie spielt das falsche Lied.

Von Joachim Frank

Der Autor

Joachim Frank ist Chefkorrespondent des "Kölner Stadt-Anzeiger", der "Berliner Zeitung" und der "Mitteldeutschen Zeitung". Außerdem ist er Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.