Deutsches Zwei-Klassen-Sterben
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Es war ein Sieg für das Leben, als der Bundestag im November 2015 seine Entscheidung bekanntgab: Die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe wird verboten. Sterbehilfevereine sind seitdem ebenso wenig erlaubt wie die wiederholte und als Geschäftsmodell erkennbare Unterstützung durch Ärzte beim Suizid. Auf der anderen Seite werden Familienangehörige und Freunde eines Sterbewilligen wie auch Mediziner, die einmalig ihrem Gewissen folgen, nicht belangt.
Doch dieser Drahtseilakt, der einerseits die Autonomie des Einzelnen wahren, andererseits aber den selbstverständlichen Anspruch auf Suizid(beihilfe) in der Gesellschaft verhindern sollte, gerät nun aus der Balance. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass der Staat schwer und unheilbar kranken Patienten legale Betäubungsmittel zur Selbsttötung nicht vorenthalten dürfe (AZ 3 C 19.15).
Besorgniserregend sind dabei vor allem die drei vom Gericht angeführten Voraussetzungen: eine unerträgliche Leidenssituation, die freie und ernsthafte Entscheidung sowie das Fehlen einer zumutbaren Alternative wie etwa die palliativmedizinische Begleitung. Denn lässt sich objektiv messen, wann eine Lebenssituation unerträglich ist? Und selbst wenn: Wollen wir, dass die Selbsttötung zum Verwaltungsakt wird?
Auch lässt sich in einer Leistungsgesellschaft, in der sich kranke und alte Menschen immer stärker sozialem Druck ausgesetzt sehen, nur schwer feststellen, ob die Entscheidung wirklich so frei und ernsthaft getroffen wird, wie man glaubt. Vielleicht werden finanziell gut situierte Sterbende künftig seltener zum tödlichen Präparat greifen müssen und wollen, als derjenige, der sich als (finanzielle) Belastung seiner Angehörigen wähnt.
Letztlich ist es aber vor allem ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die sich seit Jahrzehnten für den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung einsetzen, um so ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Denn noch immer ist sie unterfinanziert und deshalb nicht flächendeckend vorhanden. Auf dem Land gibt es sie seltener als in der Stadt. Und wer bereits in einem Pflegeheim lebt, hat weniger Chancen, in ein Hospiz aufgenommen zu werden, als jemand, der noch zu Hause wohnt. Denkt man das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts weiter, könnte es in Dörfern und Pflegeheimen künftig häufiger zu Suiziden kommen als andernorts. Statt das Recht auf Selbstbestimmung zu stärken, wurden Tür und Tor für ein Zwei-Klassen-Sterben geöffnet.