Eine große, böse Fehlentscheidung
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Es ist ein Jahrestag, der keinerlei Feierstimmung auslöst: An diesem Samstag jährt sich zum ersten Mal der Abschluss des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Das Abkommen, das von Anfang an heftig umstritten war, wirkt im Lichte der jüngsten Eskalation rund um die Türkei nur noch wie eine große, böse Fehlentscheidung.
Zwar könnte man vordergründig argumentieren, dass das Abkommen funktioniert. Immerhin ist die Zahl der Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Europa kommen, im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. Doch der Preis für den Deal mit dem Erdogan-Regime ist für die EU, die sich so gerne als Wertegemeinschaft definiert, deutlich zu hoch.
Das Abkommen hat die Gemeinschaft in eine ungute Abhängigkeit von der Türkei gebracht - einem Land, das sich immer mehr ins Abseits eskaliert. Erdogan und seine Regierung haben den Flüchtlingsdeal wiederholt als politisches Druckmittel eingesetzt. Als das EU-Parlament beispielsweise im vergangenen November für die Aussetzung der Beitrittsgespräche mit der Türkei plädierte, drohte Erdogan: "Wenn Sie noch weitergehen, werden die Grenzen geöffnet, merken Sie sich das."
Europa sollte sich auch angesichts der Entwicklung der vergangenen Tage dringend aus dieser Zwangslage befreien. Die Angst vor einer erneuten Zunahme der Flüchtlingsströme Richtung Europa darf nicht dazu führen, dass die EU vor klaren Ansagen an die Türkei zurückschreckt. Dass Europa nicht längst viel deutlicher auf die immer schrilleren Beleidigungen aus Ankara reagiert hat, ist auch dem Flüchtlingsabkommen geschuldet. Diese Beißhemmung gegenüber Erdogan und Co. muss endlich überwunden werden.
Zumal der Flüchtlingsdeal auch nach einem Jahr eine moralische Bankrotterklärung Europas bleibt. Sich aus Angst vor zu vielen Flüchtlingen mit dem Autokraten Erdogan einzulassen, führt den eigenen Anspruch von der Wertegemeinschaft ad absurdum. Wenn die EU einigermaßen glaubwürdig bleiben möchte, muss sie jetzt die Reißleine ziehen. Das bedeutet aber auch, dass die Gemeinschaft endlich die Frage beantworten muss, in welchem Umfang und auf welche Weise sie Flüchtlingen Schutz gewähren möchte.