Gelogen wurde immer schon
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"Postfaktisch" bedeutet nicht, dass neuerdings mehr gelogen wird. Gelogen wurde immer schon, aber wir sind damit bislang anders umgegangen. Wer log, und wem das nachgewiesen wurde, der hatte sich blamiert oder kam sogar ins Gefängnis. Das Besondere der postfaktischen Zeit ist, dass es jetzt nichts mehr auszumachen scheint.
Gerne würde ich das gegen den Strich bürsten. Zum katholischen Leben gehört ja auch einiges, was man nicht unbedingt faktisch nennen kann: Mythen, Legenden, sogar Märchen machen einen ansehnlichen Teil unserer Überlieferung aus. Deswegen berührt der Glaube auch Tiefenschichten, die ein Zeitungsartikel nicht so ohne weiteres erreichen.
Könnte sich aus dieser katholischen Tradition des - nennen wir es mal - Para-Faktischen nicht irgendein Ansatz ergeben, um mit dem Postfaktischen der neuesten Zeit konstruktiv umgehen zu können? Theologen nennen das dann Hermeneutik.
Ich muss aber ehrlicherweise eingestehen, dass mir bislang nicht viel eingefallen ist. "Du sollst kein falsches Zeugnis wieder deinen Nächsten geben" steht einfach zu sperrig im Raum. Freilich kann man sich Geschichten erzählen, Gedichte machen und so weiter. Aber es gab halt keinen Kinderpornoring im Keller der amerikanischen Pizzeria. Und ja wohl auch keine 3 Millionen illegale Voten bei der US-Präsidentenwahl.
Wenn nicht noch jemand diesen kreativen Ansatz entdeckt, müssen wir uns wahrscheinlich damit abfinden, dass die Welt zur Zeit einfach etwas schlechter wird. In so einer Zeit wäre Prophetie gefragt. Die Wortkargheit der Kanzlerin hat da schon was; eine postfaktische Dampfplauderin ist sie ja nun gewiss nicht.
Wenn uns aber kein Prophet geschenkt wird, und wenn der Trend zum Post-Faktischen weiter anhält, dann müssen wir vielleicht zur letzten Guerillawaffe greifen, der Nostalgie. Durchs wehmütigen Gedenken an die Jahrtausendwende, als man mit "Fakten, Fakten, Fakten" sogar noch Werbung machen konnte, übermitteln wir der Zukunft eine subversive Erinnerung, die denen, die nach uns kommen, irgendwann noch einmal Verheißung und Ansporn sein kann, es wieder mit dem achten Gebot zu versuchen.