Gute Hirten sind keine Häretiker
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Kardinäle, die den Papst um Klarheit bitten, sind keine Häretiker, sondern erfüllen ihre bischöfliche Aufgabe. Joachim Meisner, Walter Brandmüller, Raymond Burke und Carlo Caffarra haben mit ihrem Brief das getan, was ihnen aufgetragen ist: den Papst beim Ringen um die rechte Leitung der Kirche zu beraten und zu unterstützen. In einer qualitativ guten Beratung müssen auch kritische Anfragen an schwerwiegende Entscheidungen zu hören sein.
Nun wirft ein griechischer Bischof den Kardinälen irrtümlicherweise vor, Häresie zu betreiben. Dass Frangkiskos Papamanolis falsch liegt, zeigt die Definition des Begriffs: Häretiker ist, wer eine feststehende Glaubenswahrheit bezweifelt oder gar ablehnt. Keiner der vier Kardinäle hat sich dieses Vergehens schuldig gemacht, denn sie treten ja gerade für eine größere Klarheit in den Wahrheiten der Kirche ein.
Die Briefeschreiber sind keine Dissidenten in Purpur, sondern offenkundig um die kirchliche Disziplin bemühte kritische Kirchenmänner. Dies hat gerade in der Kirche in Deutschland Tradition: Ende des 19. Jahrhunderts warnte der deutsche Episkopat vor den politischen Folgen des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit. Später taten sich deutsche Theologen wie Hermann Schell mit ihrem Kampf gegen den Antimodernismus hervor. Wiederum die deutschen Bischöfe wagten es im Jahr 1968 gar, Papst Paul VI. öffentlich für seine Enzyklika "Humanae vitae" zu kritisieren. Doch die "Königsteiner Erklärung" war genauso wenig ein Akt der Häresie, wie es nun der Brief der Kardinäle ist.
Es gibt Fragen des Glaubens, die die Kirche in einem offenen Diskurs austragen muss. Dazu braucht es zuweilen auch kritische Einwürfe von Bischöfen, zumal von Kardinälen. Und so, wie sich das Glaubensleben der Kirche gewandelt hat, sind auch die notwendigen Korrektive heute andere. Einst waren es progressive Zweifel an kirchlichen Erstarrungen, heute sind es Mahnungen zum Bewahren. Doch zweifeln heißt nicht ablehnen: Aus dem Zweifel spricht immer der Wunsch nach einer Bestärkung im Glauben durch die kirchliche Führung. So ist der Brief der Kardinäle keine Häresie, sondern ein wichtiger Beitrag zu einer existenziellen Debatte der Kirche.