Pater Klaus Mertes über das "neue" Vaterunser

In der Versuchung führen

Veröffentlicht am 07.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Pater Klaus Mertes über das "neue" Vaterunser

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Die Neuübersetzung des Vaterunsers durch die französischen Bischöfe enthält mehr als nur eine leichte Änderung. Es ist eine wesentliche Veränderung, statt "führe uns nicht in Versuchung" nun "lass uns nicht eintreten in die Versuchung" zu formulieren. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es seit längerer Zeit den Vorschlag, den Sinn der vorletzten Vaterunser-Bitte durch eine kleine Veränderung entscheidend zu verschieben: "Führe uns in der Versuchung" statt "führe uns nicht in Versuchung".

Damit kein Zweifel entsteht: Ich finde es sehr sinnvoll, Gott zu bitten, dass er einen in  Versuchungssituationen führe und leite. Krankheit, Unglück, Anfeindungen, Müdigkeit, schwierige Entscheidungen – das alles sind Erfahrungen, in denen Menschen versucht sind, an Gottes Güte und Rettungsmacht zu zweifeln. So bitte auch ich täglich darum, von Gott in meinem Gottvertrauen gestärkt zu werden. "Und muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil – denn du bist bei mir." (Ps 23,4)

Der griechische Text geht aber weiter: Er bittet nicht nur um Führung in der Versuchung, sondern darum, von Gott nicht in Versuchung geführt zu werden. Das klingt nicht nur sperrig, das ist auch sperrig. Die Formulierung steht allerdings ganz in der biblischen Tradition. Da tritt Gott immer wieder als das Subjekt der Versuchung und der "Prüfung" auf, abgemildert auch in der Form, dass er die Versuchung durch den Versucher zulässt – wie etwa in der Rahmenerzählung zum Buch Hiob.

Wie soll man damit umgehen? Ich glaube, dass uns die Bitte hineinführt in das offene Wort mit Gott, in die Klage vor Gott, ja in die Anklage Gottes im Gebet, so wie die Väter und Mütter unseres Glaubens, von Abram bis Jesus es mit Gott führten: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Ps 22,2) Täuscht sich Jesus etwa, wenn er sich von Gott verlassen fühlt? Oder bringt er vielleicht doch dadurch eine sehr schmerzliche Erfahrung mit Gott (!) zum Ausdruck, die stimmt? Gottvertrauen in der Not äußert sich auch darin, darauf zu vertrauen, dass Gott die Klagen und auch Anklagen der Menschen aushält, das Leiden an offenen Fragen und dunklen Stellen, wo jedes "Gottesbild" versagt.

Gerade weil ich immer wieder die Erfahrung mache, mit meinen Gottesbildern zu scheitern, ziehe ich die korrekte Übersetzung der vorletzten Vaterunser-Bitte vor: "Führe uns nicht in Versuchung." Wir können uns vom Bösen nicht selbst erlösen. Deswegen gibt es auch eine Letztverantwortung Gottes für den Verlauf der Geschichte. Beim finalen Rückblick im Himmel erhoffe ich mir Antworten, die ich jetzt noch nicht habe. Bis dahin hoffe ich dann allerdings auch, dass er mich in den Wüsten, in die er mich führt, zugleich hütet und leitet.

Von Pater Klaus Mertes

Der Autor

Der Jesuit Klaus Mertes ist Direktor des katholischen Kolleg St. Blasien im Schwarzwald.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.